Das Leben mit Kindern gleicht einer Achterbahnfahrt – mal geht es rasant bergauf, mal sanft bergab. Doch was passiert, wenn die Kinder plötzlich selbstständiger werden? Ein Gefühl von wiedergewonnener Freiheit macht sich breit, ein Aufatmen nach Jahren der intensiven Betreuung. Aber da ist auch diese leise Melancholie, die sich unaufhaltsam einschleicht. Eine Geschichte über die Freuden und die kleinen, feinen Abschiede, die das Großwerden mit sich bringt.
Die Rückkehr der Ruhe: Ein Mittagsschlaf-Wunder
Es war an einem ganz gewöhnlichen Wochenende. Eine Erkältung hatte mich erwischt, Husten, Schnupfen, die üblichen Verdächtigen. Was also tun? Nach dem Frühstück mit der Familie beschloss ich, mich noch einmal ins Bett zu kuscheln und ein paar Stunden zu schlafen. Klingt banal? Vielleicht. Aber für alle Eltern, deren Kinder noch im Baby- oder Kleinkindalter sind, ist das ein absoluter Luxus. Denn bis vor Kurzem hätte so ein Vorhaben bedeutet, dass ich alle paar Minuten von kleinen Wirbelwinden gestört worden wäre, die lautstark nach Mama verlangen. An Schlaf wäre da kaum zu denken gewesen, es sei denn, mein Mann hätte sich heldenhaft der Rasselbande angenommen und sie auf den Spielplatz entführt. Aber jetzt? Jetzt ist alles anders. Und ich genieße jeden einzelnen Moment dieser neuen Phase.
Die Kinder sind groß geworden, und das merke ich an den kleinen Dingen im Alltag. Sie können sich stundenlang alleine beschäftigen, vertieft in ihre Spielewelten. Wir Eltern müssen nicht mehr permanent als Animateure herhalten, stundenlang Playmobil-Schlachten inszenieren oder so tun, als ob wir die x-te Runde „Mensch ärgere Dich nicht“ mit Begeisterung spielen. Und wenn wir dann doch mal gemeinsam spielen, dann sind es Brettspiele, die langsam aber sicher komplexer werden und alle gleichermaßen fordern. In der letzten Weihnachtszeit haben wir sogar ein neues Familienhobby entdeckt: das gemeinsame Puzzeln von 1000-Teile-Motiven. Jeder fummelt vor sich hin, konzentriert und entspannt, ohne dass jemand quengelt oder sich langweilt. Die Zeiten der Bauernhoftier-Puzzles, die ich im Schlaf zusammensetzen konnte, sind endgültig vorbei.
Selbstständigkeit als Gamechanger
Es sind nicht nur die Spiele, die sich verändert haben. Die Kinder ziehen sich selbst an, putzen ihre Zähne ohne Murren, schmieren sich ihr eigenes Brot oder machen sich Müsli, wenn der Hunger kommt. Sie gehen alleine auf die Toilette und wischen sich den Po ab. Kein „Mama, hilf mir!“ mehr alle zehn Minuten. Und apropos Bedürfnisse: Die Fähigkeit, diese klar und deutlich zu artikulieren, ohne dass ein Wutanfall vorausgeht, ist ein absoluter Gamechanger. Es reduziert den Stresspegel im Familienalltag enorm. Kein Rätselraten mehr, was das Kind eigentlich will, kein endloses Diskutieren und Verhandeln.
Auch das leidige Thema Schlafen hat endlich seinen Schrecken verloren. Nach dem Gute-Nacht-Buch, das jetzt übrigens abwechselnd von den Kindern vorgelesen wird, wird geschlafen. Ohne stundenlange Einschlafbegleitung im Kinderbett. Und das Beste: Auch die Nächte sind ruhig geworden. Der Jüngste kommt zwar manchmal noch zu uns ins Bett gekrabbelt, aber der Große schläft tief und fest. Ich muss nicht mehr aufstehen, um zu trösten, nicht mehr bangen, dass ein Kind nach dem Aufwachen nicht mehr einschlafen kann. Und am Wochenende? Da kann ich endlich ausschlafen! Manchmal muss ich mich kneifen, um sicherzugehen, dass das wirklich meine neue Realität ist.
Die bittersüße Tatsache, dass die Kinder groß werden: Momentaufnahme zweier Freunde, die gemeinsam in die Zukunft blicken
Ein neuer Alltag: Freiraum und eigene Interessen
Plötzlich habe ich wieder so etwas wie einen Feierabend. Klar, der Haushalt macht sich nicht von alleine, aber allein die verkürzte Prozedur des „Kinder-fertig-machen-fürs-Bett“-Rituals schenkt mir eine gute Stunde mehr Freizeit am Abend. Am Wochenende finde ich endlich die Zeit, in Ruhe ein Buch zu lesen, während die Kinder in ihren Zimmern spielen, ohne sich ständig zu streiten. Das ist ein echter Zugewinn an Lebensqualität. Und wenn wir dann doch mal einen Ausflug machen wollen, stehen uns plötzlich mehr Möglichkeiten offen als nur Spielplätze, Indoorspielplätze oder Wildparks. Museen, Ausstellungen, Konzerte – die Interessen von Kindern und Eltern nähern sich immer mehr an. Ehrlich gesagt, ich fand Spielplätze schon immer sterbenslangweilig. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ich ständig müde war.
Ich fühle mich wie neugeboren, wie aus einem langen Schlaf erwacht. Die Rückkehr aus dem Schlafmangel-Leben! Wer hätte gedacht, dass dieser Zeitpunkt wirklich kommt? Es macht auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einfacher. Nicht stressfrei, aber doch deutlich besser, je selbstständiger die Kinder werden und je mehr Energiereserven die Eltern haben. Und diese Selbstständigkeit wird jetzt exponentiell zunehmen. Bald werden die Kinder alleine zum Sport fahren, sich mit Freunden verabreden, ihr eigenes Ding machen. Und mein Mann und ich? Wir können spontan ins Kino gehen, ein Wochenende verreisen, nach der Arbeit in der Stadt bleiben und lecker essen gehen – die Kinder versorgen sich ja schon selbst. Es ist, als würde ich langsam meinen Kopf aus einer Tauchglocke ziehen.
Die Zeit der kleinen Hände und Füße ist bald schon ganz vorbei – und kommt nie wieder.
Aus der Fremdbestimmungs-Tauchglocke, in der man in den ersten Jahren als Elternteil im Müdigkeitsriff der Sieben-Unerledigte-Dinge-Weltmeere abgetaucht ist. Zeit, Freiraum, Energie – da ist wieder mehr „Ich“ nach all dem „Kinder first“ am Horizont erkennbar. Es ist ein bisschen wie das Erwachen aus einem langen Traum, in dem man sich fast selbst verloren hatte. Die eigenen Bedürfnisse, die eigenen Interessen – sie rücken wieder in den Fokus. Und das ist gut so. Denn nur wer auf sich selbst achtet, kann auch für andere da sein.
Die bittersüße Wahrheit: Abschied von der Babyzeit
Und dann gehe ich in den Keller. Und sehe den Kinderwagen, die aussortierten Mini-Bodys, die Bilderbücher, die ich damals mit einem genervten Seufzer in eine Kiste gepackt habe. Und zwischen die Freude darüber, dass meine Kinder so groß geworden sind, mischt sich Wehmut. Plötzlich erinnere ich mich an kleine Füße unter der Bettdecke, die sich zwischen mich und die Matratze drängeln. An dicke Händchen, die zum ersten Mal eine Erdbeere in den Mund stecken und die weiße Wand hinter dem Esstisch mit roten Spuren versehen. Ich höre die ersten Wörter in mir nachklingen, sehe die ersten Gehversuche vor meinem inneren Auge. Spüre nach, wie nah ich den Kindern war, als ich sie im Tragetuch 24/7 wie eine Kängurumama mit mir herumtrug.
Obwohl ich weiß, dass mich damals vieles gestresst und genervt hat, denke ich jetzt mit einem kleinen Tränchen im Auge an diese Zeit zurück. Es war so schön, wenn auch so anstrengend. Die Zeit der kleinen Hände und Füße ist bald ganz vorbei – und kommt nie wieder, oder? Manchmal fühle ich mich in diesen Momenten von meinem Gehirn ausgetrickst. Ich weiß, dass ich froh bin, die Baby- und Kleinkindzeit hinter mir gelassen zu haben. Und trotzdem kann ich mich nicht von den Gegenständen trennen, die damit verbunden sind. Wer weiß, vielleicht brauchen wir sie ja noch mal…? Himmel, nein! Erneut durch die Schlafmangelhölle gehen, Sandkuchen backen, die Autonomiephase begleiten und jahrelang auf Oma und Opa angewiesen sein, wenn man mal 48 Stunden seine Ruhe möchte? Das ganze Spiel von vorne beginnen? Nein, das ist rational betrachtet keine gute Idee. Aber dann kommen die Gefühle ins Spiel und die Erinnerungen. Und trotz null Punkten auf der Pro-Seite kann ich den Gedanken, vielleicht doch noch mal ein Baby zu bekommen, nicht fahren lassen.
Vielleicht ist es ein wenig so, wie meine Kollegin schrieb: Ein „Jetzt-oder-nie-mehr“-Gefühl im Angesicht des nahenden 40. Lebensjahres. Wenn es noch mal Nachwuchs geben soll, dann wird’s Zeit. Oder es ist die bittersüße Erkenntnis, dass mit dem Größerwerden der Kinder zwar wieder mehr Raum für mich entsteht – aber viele wunderschöne Dinge dann eben nur noch in der Erinnerung stattfinden werden. Eine Konfrontation mit dem Lauf der Dinge und der Zeit, die wir alle nur in begrenztem Maße zur Verfügung haben – weshalb sich auch die schönsten Momente eben nicht unendlich oft wiederholen lassen.
Fazit: Ein Tanz zwischen Freude und Wehmut
Vermutlich ist es ein wenig von beidem und wie mit so vielem im Leben: Jede Medaille hat zwei Seiten. Das Leben als Mutter ist ein ständiger Balanceakt zwischen Freude und Wehmut, zwischen Loslassen und Festhalten. Es ist die Kunst, die kleinen Momente zu genießen, während man gleichzeitig den Blick nach vorne richtet. Es bedeutet, sich auf die neuen Herausforderungen und Freuden einzulassen, die das Großwerden der Kinder mit sich bringt, ohne die Erinnerungen an die Babyzeit zu vergessen. Es ist ein Tanz zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein bittersüßer Abschied von einer intensiven Zeit und gleichzeitig die freudige Erwartung auf all das, was noch kommt. Und so werde ich die Babysachen noch ein bisschen im Keller einstauben lassen und mich gleichzeitig auf das erste von meinen Kindern gekochte Familienessen freuen. Und beides fühlen: Freude und Wehmut.
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