Der Wecker klingelt, bevor die Sonne überhaupt daran denkt, aufzugehen. Ein schneller Blick in den Spiegel offenbart Augenringe, die tiefer nicht sein könnten. Der Kaffeeautomat gurgelt, während im Kinderzimmer bereits das erste Quengeln zu hören ist. Willkommen im Alltag einer berufstätigen Mutter – einem Balanceakt zwischen Windeln wechseln, Meetings leiten und dem ständigen Gefühl, irgendetwas zu vergessen.
Die unsichtbare Last: Wenn Perfektion zur Bürde wird
Viele Mütter kennen das Gefühl, als würden sie ständig auf einem Drahtseil tanzen. Auf der einen Seite der Job, der volle Einsatz fordert, Deadlines, die eingehalten werden müssen, und der Druck, erfolgreich zu sein. Auf der anderen Seite die Familie, die Liebe, Geborgenheit und Aufmerksamkeit braucht. Und dazwischen? Eine Frau, die versucht, all dem gerecht zu werden – und dabei oft genug an ihre Grenzen stößt. Die Wohnung soll nicht nur sauber, sondern klinisch rein sein, die Kinder sollen gefördert, aber nicht überfordert werden, gesunde Mahlzeiten auf dem Tisch stehen, die Beziehung zum Partner nicht zu kurz kommen und natürlich soll man selbst auch noch Zeit für Sport, Entspannung und Freundinnen finden. Ein nahezu unmögliches Unterfangen, das viele Mütter in einen Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Überforderung treibt.
Es ist ein Teufelskreis, der sich oft im Verborgenen abspielt. Nach außen hin zeigen viele Mütter ein Bild von Stärke und Perfektion, während innerlich ein Sturm tobt. Sie lächeln, wenn sie eigentlich weinen möchten, sie nicken zustimmend, wenn sie eigentlich „Nein“ sagen müssten, und sie funktionieren, obwohl sie eigentlich eine Auszeit bräuchten. Dieser ständige Druck, alles perfekt machen zu müssen, führt nicht selten zu einem Gefühl der Leere und Entfremdung. Man fragt sich, wer man eigentlich ist, wenn man nicht gerade Mutter, Partnerin oder Angestellte ist. Wo sind die eigenen Träume, Wünsche und Bedürfnisse geblieben?
Das Mom-Impostor-Syndrom: Wenn Selbstzweifel zur Gewohnheit werden
Dieses Phänomen hat sogar einen Namen: das Mom-Impostor-Syndrom. Es beschreibt das Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein, die ihre Rolle als Mutter nur vortäuscht. Betroffene Mütter sind davon überzeugt, dass sie den Anforderungen nicht gerecht werden und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand merkt, dass sie eigentlich keine Ahnung haben. Jedes Lob wird als unverdient abgetan, jeder Fehler als Beweis für die eigene Unfähigkeit gewertet. Es ist ein Teufelskreis aus negativen Gedanken, der sich immer weiter zuspitzt und das Selbstwertgefühl nachhaltig untergräbt. Man verliert das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und fühlt sich zunehmend isoliert und unverstanden.
Die sozialen Medien verstärken diesen Effekt noch zusätzlich. Auf Instagram und Co. präsentieren sich viele Mütter als perfekte Vorbilder, die scheinbar mühelos alles unter einen Hut bekommen. Makellose Kinderzimmer, perfekt gestylte Kinder und gesunde Mahlzeiten, die aussehen wie aus einem Kochbuch. Es ist leicht, sich von diesen idealisierten Bildern blenden zu lassen und sich selbst mit diesen unerreichbaren Standards zu vergleichen. Doch hinter der Fassade verbirgt sich oft eine ganz andere Realität. Auch diese Mütter kämpfen mit Müdigkeit, Stress und Selbstzweifeln. Nur zeigen sie es nicht so offen.
Das Gefühl der Perfektion: Eine Mutter mit ihrem Baby, umgeben von den Herausforderungen des Lebens.
Es ist wichtig zu erkennen, dass diese vermeintliche Perfektion oft nur eine Illusion ist. Niemand ist perfekt, und das ist auch gut so. Jede Mutter macht Fehler, und das ist völlig normal. Es ist wichtig, sich von dem Druck zu befreien, alles perfekt machen zu müssen, und stattdessen zu akzeptieren, dass man eben auch nur ein Mensch ist. Ein Mensch mit Stärken und Schwächen, mit guten und schlechten Tagen.
Die Last der Gesellschaft: Unrealistische Erwartungen an Mütter
Die Ursachen für das Mom-Impostor-Syndrom sind vielfältig. Zum einen spielen gesellschaftliche Erwartungen eine große Rolle. Mütter werden oft an unrealistischen Standards gemessen und müssen sich ständig beweisen. Sie sollen liebevoll und geduldig sein, gleichzeitig aber auch selbstbewusst und erfolgreich im Beruf. Sie sollen ihre Kinder optimal fördern, aber nicht überbehüten. Sie sollen für ihre Familie da sein, aber auch ihre eigenen Bedürfnisse nicht vergessen. Ein Spagat, der kaum zu bewältigen ist. Zum anderen tragen auch die eigenen Ansprüche zur Entstehung des Syndroms bei. Viele Mütter setzen sich selbst unter Druck und wollen es allen recht machen. Sie haben Angst, zu versagen und den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Diese Angst kann lähmend wirken und das Selbstvertrauen nachhaltig beeinträchtigen.
Es ist an der Zeit, diese unrealistischen Erwartungen zu hinterfragen und sich von dem Druck zu befreien, perfekt sein zu müssen. Jede Mutter hat das Recht, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern viele verschiedene Wege, die zum Ziel führen. Wichtig ist, dass man sich selbst treu bleibt und auf die eigenen Bedürfnisse hört.
Wir müssen aufhören, Frauen in Rollenbilder zu zwängen und stattdessen eine Kultur der Akzeptanz und Wertschätzung fördern, in der jede Mutter ihren eigenen Weg finden kann.
Die Ergebnisse einer Studie der Online-Therapieplattform „Hello Better“ in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut „Ipsos“ zeigen, dass viele Mütter unter dem Mom-Impostor-Syndrom leiden. Demnach sind über 35 Prozent der Mütter unter 35 Jahren und 22 Prozent der Mütter über 35 Jahren betroffen. Die Studie zeigt auch, dass soziale Medien eine große Rolle bei der Entstehung von Selbstzweifeln spielen. Ganze 24 Prozent der Mütter unter 35 Jahren gaben an, durch den Vergleich mit anderen Müttern auf Netzwerken wie Instagram verunsichert zu sein, und 17 Prozent fürchteten sich vor „Mom Shaming“. Der Anspruch an sich selbst, alles mit links gebacken zu bekommen, zeigt sich auch am Grad der Belastung: Durch den Mental Load fühlt sich jede dritte Mutter (32 Prozent) überbelastet. Und was außerdem besorgniserregend ist: Ganze 40 Prozent der Mütter unter 35 Jahren haben Angst davor, aufgrund der hohen Belastung letztendlich psychisch zu erkranken.
Diese Zahlen sind alarmierend und zeigen, dass es dringend Handlungsbedarf gibt. Es ist wichtig, das Thema Mom-Impostor-Syndrom zu enttabuisieren und offen darüber zu sprechen. Nur so können wir betroffenen Müttern helfen, sich von ihren Selbstzweifeln zu befreien und ihr Selbstvertrauen wiederzugewinnen.
Wege aus der Perfektionsfalle: Tipps für mehr Selbstliebe und Akzeptanz
Doch wie können wir uns von diesem Phänomen lösen und unser Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten stärken? Hier sind einige Ideen, die helfen können:
- Sich austauschen: Sprechen Sie mit anderen Müttern über Ihre Gefühle und Erfahrungen. Oft hilft es schon, zu wissen, dass man nicht allein ist.
- Psychologische Hilfe suchen: Wenn die Selbstzweifel überhandnehmen, kann eine Therapie helfen, die Ursachen zu ergründen und Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.
- Social Media bewusst nutzen: Überdenken Sie, wem Sie auf Social Media folgen. Bevorzugen Sie ehrliche Darstellungen der Elternschaft statt perfekt inszenierter Bilder. Oder schränken Sie Ihre Social-Media-Nutzung ganz ein.
- Erfolge festhalten: Schreiben Sie sich abends auf, was Sie alles geschafft haben. Das visuelle Festhalten macht einen großen Unterschied und ordnet den Kopf.
- Eigene Bedürfnisse ernst nehmen: Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst und tun Sie Dinge, die Ihnen guttun. Das kann ein entspannendes Bad sein, ein Spaziergang in der Natur oder ein Treffen mit Freunden.
- Perfektionismus loslassen: Akzeptieren Sie, dass Sie nicht perfekt sind und dass Fehler passieren. Seien Sie nachsichtig mit sich selbst und lernen Sie aus Ihren Fehlern.
- Eigene Stärken erkennen: Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken und Talente. Was können Sie besonders gut? Was macht Ihnen Spaß?
- Unterstützung annehmen: Scheuen Sie sich nicht, Hilfe anzunehmen, wenn Sie sie brauchen. Bitten Sie Ihren Partner, Ihre Familie oder Freunde um Unterstützung.
Fazit: Mehr Mut zur Unvollkommenheit
Das Mom-Impostor-Syndrom ist ein weit verbreitetes Phänomen, das viele Mütter betrifft. Es ist wichtig, das Thema zu enttabuisieren und offen darüber zu sprechen. Betroffene Mütter sollten sich bewusst machen, dass sie nicht allein sind und dass es Wege aus der Perfektionsfalle gibt. Es ist an der Zeit, sich von unrealistischen Erwartungen zu befreien und eine Kultur der Akzeptanz und Wertschätzung zu fördern. Jede Mutter hat das Recht, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist, dass man sich selbst treu bleibt, auf die eigenen Bedürfnisse hört und sich nicht von Selbstzweifeln unterkriegen lässt. Denn am Ende des Tages ist das Wichtigste, dass man eine liebevolle und authentische Mutter ist – ganz egal, ob perfekt oder nicht. Es ist Zeit für mehr Mut zur Unvollkommenheit!
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