Der Wecker klingelt. Nicht irgendein Wecker, sondern der, der signalisiert: Die Schlacht beginnt von Neuem. Eine Schlacht, die Mütter jeden Tag aufs Neue ausfechten – zwischen Job, Kindern, Haushalt und dem vagen Gefühl, dass da noch irgendetwas anderes war, bevor das alles begann. Und dann kommen sie, die „Muttivationssprüche“, diese kleinen, süßlichen Phrasen, die so harmlos daherkommen, aber oft mehr Schaden anrichten als helfen.
Der tägliche Spießrutenlauf der „Muttivation“
„Du musst auch mal an dich denken!“ – Ja, klar. Nach dem Wäscheberg, den Hausaufgaben, dem Elternabend und dem Versuch, ein halbwegs warmes Abendessen auf den Tisch zu zaubern. Und dann noch die lieben Mitmenschen, die mitfühlend fragen: „Ich könnte das nicht. Wie schaffst du das bloß alles?“ In solchen Momenten möchte man am liebsten laut schreien. Aber stattdessen kaut man angestrengt auf der Backentascheninnenseite herum, ein stiller Akt des Widerstands gegen die allgegenwärtige „Muttivation“. Motivationssprüche sind wie Glückskekse ohne Glück, Kalendersprüche ohne Kalender – leere Worthülsen, die im Alltag einer Mutter verhallen.
Es ist, als ob man als Kind Lebertran schlucken musste – in der Hoffnung, nicht krank zu werden. Doch man war trotzdem ständig krank UND musste dieses widerliche Zeug schlucken. Genauso verhält es sich mit diesen Sprüchen. Sie sollen aufbauen, aber bewirken oft das Gegenteil. Sie sind wie ein schlecht sitzendes Korsett, das die Luft zum Atmen nimmt und die ohnehin schon angespannte Situation noch verschlimmert.
Die ehrliche Frage und ihre Bedeutung
Warum steht eigentlich nicht im Mutterpass: „Achtung, nach der Geburt von mehr als einem Kind drohen nicht nur Rota-Viren, sondern auch wohlmeinende Nachbarn mit unaufrichtigen Fragen?“ Da wird gefragt, wie es geht, wie man das alles schafft und ob man Hilfe benötigt. Aber wehe dem, man nimmt dieses Angebot ernst. Denn hinter dem Satz „Ich könnte das nicht“ verbirgt sich oft ein „Ich wollte das nicht.“ Was wirklich zählt, sind ehrliche Versuche, Interesse zu zeigen. Ein gestammeltes „Ich weiß nicht, wie ich fragen soll…“ ist Gold wert, weil es zeigt, dass es dem Fragenden wirklich um einen geht, in all seiner Komplexität und Farbe. Und es ist auch völlig in Ordnung, wenn andere mal kein Interesse haben. Hauptsache, sie fragen dann auch nicht.
Muttivationssprüche sind eine billige Art der Entlastung für den Sprecher. Sie geben das Gefühl, etwas getan zu haben, helfen dem Empfänger aber keinen Deut weiter. Es ist kein Beweis von Mitgefühl, nachzufragen, wenn man keine Zeit für eine ehrliche Antwort hat. Es ist lediglich ein schwacher Versuch, sich selbst als empathischen Menschen darzustellen.
Der eine Satz, der alles sagt
Eine Anekdote: Die Ausbildungsleiterin einer Coaching-Ausbildung fragte einmal: „Frau Wilkens, ein Satz nur: Wie geht es Ihrem Mann?“ In einer Zeit, in der der Mann von einem Tag auf den anderen seinen Job aufgeben musste, Pflegestufe 3 beantragte, täglich 50 Tabletten schluckte und sein Testament schrieb. Wie sollte man das in einem einzigen Satz beantworten? Die Antwort war ein nebulöses „Ach, wir schlagen uns recht wacker“ – doppeldeutig und voller unausgesprochener Gefühle. Und dann kam er wieder, der Lieblingssatz: „Wissen Sie, es ist jetzt ganz wichtig, dass Sie auch an sich denken.“
Ja, natürlich. Aber davor stehen noch unzählige andere Aufgaben: Wäsche, Lernentwicklungsgespräche, vergorene Milch, trösten, organisieren, kochen, Arztbesuche, Müll, Krankenkassenanträge, Schwimmunterricht. Und irgendwann, ganz am Ende der Liste, steht dann: An sich denken. Es ist wie in Venedig: Maske aufsetzen, Porzellanlächeln zeigen und so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Manchmal kommt man dieser Rhetorik zuvor und sagt: „Wir kommen gut zurecht, weil ich ab und zu ganz bewusst an mich denke.“ Die Backentascheninnenseite hat dann zwar Schwerstarbeit zu leisten, aber man verkürzt das Gespräch und kann sich schneller wieder den wirklich wichtigen Dingen widmen: Kleiderschrank aussortieren, Liebeskummer trösten, Zahnarzttermin vereinbaren.
Es ist absurd, was unsere neoliberale Gesellschaft mitunter von uns Müttern verlangt, wenn sie uns suggeriert: Alles ist möglich – ihr müsst euch nur gut organisieren und genug anstrengen.
Diese Keythesis bringt es auf den Punkt. Der Druck, alles perfekt zu machen, die Erwartung, dass Mütter Superheldinnen sind, die Job, Kinder und Haushalt mühelos unter einen Hut bringen – all das ist unrealistisch und schlichtweg unfair. Es ist an der Zeit, sich von diesem Ideal zu verabschieden und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt: Ehrlichkeit, Authentizität und gegenseitige Unterstützung.
Was wirklich hilft: Echte Gesten und ehrliche Worte
Was hilft denn wirklich, wenn man als Mutter kurz vor dem Verzweifeln ist? Eine stumm vor die Tür gestellte Torte, Blumen oder einfach mal das Angebot, das Auto durch die Waschstraße zu fahren. Es sind die kleinen, unerwarteten Gesten, die zeigen, dass jemand an einen denkt und einem eine Last abnehmen möchte. Und dann gibt es da noch die Freundin, die wissend kichert und sagt: „Ja, aber du weißt ja: Das wird noch eine Weile so weitergehen. Du darfst jetzt noch nicht schlappmachen.“ Das klingt zwar im ersten Moment hart, ist aber eigentlich Galgenhumor und erinnert daran, dass man nicht allein ist mit seinen Problemen.
Eine Freundin, die selbst drei erwachsene Kinder, sieben Schildkröten und eine Scheidung hinter sich hat, weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn man spät abends noch bügelt. Sie würde niemals sagen: „Toll, wie du das machst!“ Sondern höchstens: „Bügelfrei!“ Und wenn man im November jammert, dass man noch so viele Päckchen für den Adventskalender braucht, schickt sie wortlos 17 eingepackte Parfümpröbchen und 12 Rubbellose – eine Rettung in der Not. Es sind diese kleinen, unspektakulären Hilfen, die wirklich einen Unterschied machen.
Die Eltern-Pannen-Party und andere Auswege
Ein Zoom-Abend mit Freunden zum Thema „Meine größte Eltern-Panne“ ist oft hilfreicher als jedes noch so wohlmeinende Wortspiel. Denn für Zuckerwatte-Sprache haben Eltern oft keine Zeit. Der Reis brennt an, der Hund muss raus, die Kinder streiten sich. Es braucht ehrliche Gespräche, in denen man sich gegenseitig Mut macht und sich eingesteht, dass niemand perfekt ist. Und vielleicht gibt es ja doch Ausnahmen bei den Sprüchen. Ein Nachbar, der einem zu Weihnachten eine alte Handwerkerregel auf einen Hoodie drucken lässt: „Nach fest kommt lose.“ Nur dieser eine Satz. Aber damit ist alles gesagt. Und die Backentascheninnenseite kann endlich mal Urlaub machen.
Fazit: Schluss mit der „Muttivation“ – Her mit der Ehrlichkeit
Die „Muttivationssprüche“ sind oft gut gemeint, aber selten hilfreich. Sie sind wie leere Versprechungen, die im stressigen Alltag einer Mutter verhallen. Was wirklich zählt, sind ehrliche Gesten, aufrichtige Worte und die Erkenntnis, dass niemand perfekt ist. Es braucht Freundinnen, die einem stumm eine Torte vor die Tür stellen, Nachbarn, die einem das Auto durch die Waschstraße fahren, und Zoom-Abende, an denen man sich gegenseitig von seinen größten Eltern-Pannen erzählt. Es ist an der Zeit, sich von dem unrealistischen Ideal der perfekten Mutter zu verabschieden und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt: Ehrlichkeit, Authentizität und gegenseitige Unterstützung. Denn am Ende des Tages sind es nicht die schönen Worte, sondern die kleinen Taten, die den Unterschied machen.
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