Vaterschaft verstehen: Hormonelle Veränderungen und Bindungsaufbau

Die Ankunft eines Kindes verändert alles – das wissen wir Mütter nur zu gut. Doch während wir uns oft auf die Veränderungen in unserem eigenen Körper und Leben konzentrieren, vergessen wir leicht, dass auch unsere Partner eine immense Transformation durchleben. Anna Machin, eine renommierte Anthropologin der Universität Oxford, hat sich seit einem Jahrzehnt intensiv mit der Vaterschaft auseinandergesetzt. Ihre Forschungsergebnisse geben uns wertvolle Einblicke in die emotionalen und hormonellen Veränderungen, die Männer erleben, wenn sie Väter werden. Und gerade für uns Karriere-Mütter ist es wichtig zu verstehen, wie wir unsere Partner in dieser neuen Lebensphase optimal unterstützen können.

Wenn Hormone Achterbahn fahren: Was in Vätern wirklich vorgeht

Stell dir vor, du bist mitten in einem wichtigen Projekt, als plötzlich die Nachricht kommt: Du wirst Vater! Neben der Freude und Aufregung mischen sich vielleicht auch Unsicherheit und Fragen. „Was passiert jetzt mit mir?“, fragst du dich vielleicht. Laut Anna Machin ist diese Frage berechtigt, denn die Vaterschaft geht mit tiefgreifenden Veränderungen einher. Eine der überraschendsten Erkenntnisse ihrer Forschung ist, dass der Testosteronspiegel bei Männern nach der Geburt des ersten Kindes dauerhaft sinkt. Dieser Effekt ist weltweit zu beobachten, unabhängig von Kultur und sozialem Hintergrund. Warum das so ist? Die Evolution hat es so eingerichtet: Ein niedrigerer Testosteronspiegel macht Männer sensibler und familienorientierter, was wiederum das Überleben des Nachwuchses sichert. Schließlich sind Babys lange Zeit von ihren Eltern abhängig.

Aber keine Sorge, liebe Väter! Was vielleicht wie ein Verlust klingt, ist in Wirklichkeit ein Gewinn. Denn gleichzeitig verstärken sich die Effekte von Oxytocin und Dopamin, zwei Botenstoffe, die im Belohnungszentrum des Gehirns wirken. Sie sorgen für Hochgefühle und stärken die Bindung zum Kind. Interessanterweise synchronisiert sich der Oxytocinspiegel von Paaren bereits während der Schwangerschaft. Es ist, als würde die Natur die Weichen für eine enge Eltern-Kind-Beziehung stellen.

Vater hält sein Baby im Arm und schaut es liebevoll an

Innere Ruhe: Ein liebevoller Moment zwischen Vater und Baby.

Als Karriere-Mütter wissen wir, wie wichtig es ist, Aufgaben zu delegieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Die frühe Vaterschaft ist da keine Ausnahme. Indem wir unseren Partnern die Möglichkeit geben, aktiv an der Betreuung des Babys teilzunehmen, fördern wir nicht nur ihre Bindung zum Kind, sondern entlasten auch uns selbst. Und wer weiß, vielleicht entdecken wir dabei ganz neue Seiten an unseren Männern!

Die ersten Monate: Eine Herausforderung für Väter

Während Mütter durch Schwangerschaft, Geburt und Stillen eine sehr direkte Verbindung zum Baby aufbauen können, ist es für Väter oft schwieriger, eine ebenso intensive Bindung zu entwickeln. Studien zeigen, dass die ersten sechs Monate eine frustrierende Zeit für junge Väter sein können. Mütter haben es leichter, eine Verbindung durch Stillen und Versorgung herzustellen. Bei Vätern entsteht sie vor allem durch Interaktion, insbesondere durch Spielen. Das sogenannte „rough and tumble play“, also herumtoben, rennen, kichern und sich durchkitzeln, ist hier besonders wichtig. Dabei werden drei wichtige Bindungshormone ausgeschüttet – und zwar bei Vater und Kind gleichermaßen: Oxytocin, Dopamin und Beta-Endorphin. Beta-Endorphin ist ein besonders wirkungsvoller Botenstoff, der euphorische Gefühle erzeugt und Menschen verbindet.

Doch gerade in unserer modernen, oft leistungsorientierten Gesellschaft fehlt Vätern oft die Zeit für ausgiebiges Spielen. Viele Väter gleichen den Zeitmangel instinktiv dadurch aus, dass sie die wenige Zeit, die sie haben, intensiv mit ihrem Kind verbringen. Aber es dauert natürlich, bis ein Kind überhaupt reagieren kann, daher ist Geduld gefragt. Alternativ ist Baby-Massage eine wunderbare Sache. Vater und Baby werden mit Oxytocin und Beta-Endorphin geflutet, was Bindung schafft und gegen den Babyblues hilft, der auch viele Väter trifft.

„Väter fühlen sich oft zweitrangig. Aber sie sind genauso wichtig wie Mütter. Die Evolution hat sie darauf bestens vorbereitet.“

Diese Aussage von Anna Machin ist eine wichtige Keythesis, die wir uns als Mütter immer wieder vor Augen führen sollten. Unsere Partner sind nicht einfach nur Helfer oder Unterstützer, sondern gleichwertige Elternteile, die eine ebenso wichtige Rolle im Leben unserer Kinder spielen. Indem wir ihnen den Raum geben, ihre Vaterschaft aktiv zu gestalten und ihre eigenen Stärken einzubringen, stärken wir nicht nur ihre Bindung zum Kind, sondern auch unsere Partnerschaft und die Familie als Ganzes.

Instinkt oder Erziehung? Wie Väter in ihre Rolle finden

Sind Väter von Natur aus auf ihre Rolle vorbereitet, oder müssen sie sie erst erlernen? Laut Anna Machin ist es eine Mischung aus beidem. Durch die hormonellen Veränderungen werden junge Väter auf die neue Rolle genauso vorbereitet wie Mütter. Sogar bestimmte Hirnregionen verändern sich. Trotzdem müssen beide Eltern gleichermaßen in die neue Rolle hineinwachsen. Frauen brauchen im Schnitt neun Monate, Männer hingegen rund zwei Jahre, bis sie sich in der neuen Rolle sicher fühlen. Es ist also wichtig, Geduld zu haben und sich gegenseitig zu unterstützen.

Interessant ist auch, dass Frauen und Männer instinktiv unterschiedlich erziehen. Mütter sind vor allem auf die Versorgung und Sicherheit des Babys fokussiert. Väter natürlich auch, aber sie fordern ihr Kind stärker heraus, ermutigen es, Risiken einzugehen, Niederlagen einzustecken und unabhängig zu werden. Die zwei Grundpfeiler der Vaterrolle – Lehren und Beschützen („teaching and protection“) – haben einen evolutionären Hintergrund. Deswegen finden wir sie über alle Ländergrenzen hinweg. Es waren immer die Väter, die überlebenswichtiges Wissen weitergegeben haben.

Was das für uns als Mütter bedeutet? Wir sollten unseren Partnern vertrauen und ihnen den Raum geben, ihre eigenen Erziehungsstile zu entwickeln. Auch wenn es manchmal schwerfällt, sollten wir uns nicht in ihre Entscheidungen einmischen oder sie kritisieren. Stattdessen können wir von ihren unterschiedlichen Herangehensweisen lernen und unseren eigenen Erziehungsstil erweitern. Denn letztendlich profitieren unsere Kinder von der Vielfalt der elterlichen Einflüsse.

Die Vaterrolle im Wandel der Zeit: Was wirklich zählt

Die Frage, was einen „guten“ Vater ausmacht, ist nicht einfach zu beantworten. Elternschaft ist eine komplizierte Angelegenheit, und was in einer Kultur als ideal gilt, kann in einer anderen völlig anders aussehen. Bei den Kipsigis in Kenia etwa kümmert sich der Vater erst ab dem Alter von elf Jahren um seine Kinder. Vorher hält er sie nicht einmal im Arm. Wir würden ihn als Rabenvater bezeichnen, die Männer dort sehen sich aber traditionell als Ernährer, sie schonen ihre Ressourcen für die Tee-Ernte. Vaterschaft ist eben immer vom Umfeld abhängig.

Es gibt also keinen „Goldstandard“ für Vaterschaft. Anna Machins Empfehlung ist daher: Achte auf dein Bauchgefühl statt auf kluge Ratschläge, die du womöglich nicht erfüllen kannst. Instinktiv weißt du, was für dich und dein Kind das Beste ist, du verstehst es besser als irgendjemand anderes. Und das gilt sowohl für Mütter als auch für Väter.

Besonders wichtig ist die Vaterrolle im Kindergartenalter und in der Teenagerzeit. Dann brauchen Kinder ihren Papa ganz besonders, weil er das Kind auf die Welt außerhalb der Familie vorbereitet. Etwa, indem er erklärt, wie man teilt und kooperiert. Teenager scheinen einen Großteil ihres Selbstbewusstseins interessanterweise durch ihren Vater zu bekommen. Auch für die Ausbildung der Geschlechtsidentität sind sie enorm wichtig.

Um die Familie als Ganzes zu stärken, sollten Väter offen, unterstützend und emotional erreichbar sein. Und sie sollten bedenken: Die wichtigste Beziehung ist die der Eltern. Sie schaffen die Umgebung und die Stimmung, in der das Kind aufwächst. Unstabile Elternbeziehungen stressen Kinder enorm.

Fazit: Väter sind unverzichtbar

Die Forschung von Anna Machin zeigt eindrücklich, dass Väter eine ebenso wichtige Rolle im Leben unserer Kinder spielen wie Mütter. Ihre hormonellen Veränderungen, ihre unterschiedlichen Erziehungsstile und ihre einzigartige Art, Bindung aufzubauen, sind unverzichtbar für die Entwicklung unserer Kinder. Als Karriere-Mütter sollten wir uns bewusst machen, dass unsere Partner nicht nur Helfer sind, sondern gleichwertige Elternteile, die unsere Unterstützung und unser Vertrauen verdienen. Indem wir ihnen den Raum geben, ihre Vaterschaft aktiv zu gestalten, stärken wir nicht nur ihre Bindung zum Kind, sondern auch unsere Partnerschaft und die Familie als Ganzes. Und das ist letztendlich das Wichtigste, was wir unseren Kindern mitgeben können: eine stabile, liebevolle und unterstützende Familie.

QUELLEN

Eltern.de

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