Väter sind nicht immer die unfehlbaren Helden, die alles im Griff haben. Sie dürfen zweifeln, straucheln und sich fragen, wie sie ihren Kindern am besten zur Seite stehen können. Die Geschichte von David Gilmour, erzählt in seinem Roman „Unser allerbestes Jahr“, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein Vater auf ungewöhnliche Weise versucht, eine Verbindung zu seinem Sohn aufzubauen.
Wenn Schule zur Nebensache wird: Ein Vater geht neue Wege
Stell dir vor, dein Sohn verkündet, dass er nicht mehr zur Schule gehen möchte. Was tust du? Panik? Strenge Ermahnungen? David, der Vater in Gilmours Roman, wählt einen anderen Weg. Er schlägt Jesse, seinem 17-jährigen Sohn, einen Deal vor: freie Kost und Logis im Austausch für drei Filme pro Woche. Von Klassikern wie Truffaut bis hin zu provokanten Filmen wie „Basic Instinct“ – Jesse erhält eine filmische Bildung der besonderen Art. Doch es geht um mehr als nur Filmgeschichte. Es geht darum, Zeit miteinander zu verbringen, Gespräche zu führen und eine tiefere Verbindung aufzubauen. Dieser unkonventionelle Ansatz zeigt, dass es manchmal Mut erfordert, traditionelle Pfade zu verlassen und neue Wege zu finden, um seine Kinder zu erreichen.
Für viele berufstätige Mütter mag diese Vorstellung zunächst absurd erscheinen. Wie soll man in dem ohnehin schon vollen Terminkalender noch Zeit für gemeinsame Filmabende finden? Doch der Kern der Geschichte liegt nicht in der konkreten Umsetzung, sondern in der Bereitschaft, sich auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes einzulassen und kreative Lösungen zu finden. Vielleicht ist es nicht ein Filmabend, sondern ein gemeinsamer Kochkurs, ein Ausflug in die Natur oder ein offenes Gespräch über die Sorgen und Ängste des Kindes. Wichtig ist, präsent zu sein und echte Anteilnahme zu zeigen.
Gemütliches Familienmoment: Filmabend auf der Couch
Loslassen lernen: Wenn Kinder eigene Wege gehen
Kinder werden älter und beginnen, ihren eigenen Weg zu gehen. Das Loslassen fällt vielen Eltern schwer. Der Wunsch, sie vor Fehlern zu bewahren und ihnen die eigenen Werte mit auf den Weg zu geben, ist groß. Doch Kontrolle ist nicht immer die beste Lösung. Der Ich-Erzähler in „Unser allerbestes Jahr“ ringt mit diesem Dilemma. Er möchte seinem Sohn Halt geben, aber auch ein cooler Vater sein, der ihn ziehen lässt. Verständnis, Verzeihen und aufrichtiges Interesse sind seine Werkzeuge, um wieder Zugang zu seinem Sohn zu finden. Und irgendwann vertraut Jesse ihm wieder. Vertrauen ist ein fragiles Gut, das aufgebaut und gepflegt werden muss. Es bedeutet, seinem Kind den Raum zu geben, eigene Erfahrungen zu sammeln, auch wenn diese manchmal schmerzhaft sind.
Wie aber findet man als Mutter die Balance zwischen Loslassen und Begleiten? Es beginnt damit, die eigenen Erwartungen zu hinterfragen und zu akzeptieren, dass das Kind ein eigenständiger Mensch ist, der eigene Entscheidungen treffen darf. Es bedeutet auch, präsent zu sein, wenn das Kind Unterstützung braucht, ohne sich aufzudrängen. Es ist ein Tanz zwischen Nähe und Distanz, der viel Fingerspitzengefühl erfordert.
Die Kunst der Elternschaft liegt darin, seinen Kindern Wurzeln und Flügel zu geben.
Ehrlich, zweifelnd, rührselig: Eine Geschichte, die berührt
Die eltern.de-Redaktion beschreibt „Unser allerbestes Jahr“ als eine ehrliche Geschichte mit all den Zweifeln, Verwirrungen und rührseligen Momenten, die das Leben eben mit sich bringt. Der Ich-Erzähler gefällt sich zwar manchmal ein wenig in der Rolle des unkomplizierten und zugleich zweiflerisch-sensiblen Vaters und Frauenverstehers, aber das Buch ist dennoch weise, zärtlich und auch manchmal komisch. Es erzählt von gebrochenen Herzen und gelungene Beziehungen und davon, dass Erwachsenwerden nichts mit dem Alter zu tun hat. Es zeigt, dass sich nicht nur Mütter um ihren Nachwuchs sorgen, sondern dass ein moderner Vater genauso sensibel und unsicher sein kann. Weil Erziehung eben doch Sache von Mutter und Vater ist. Diese Ehrlichkeit ist es, die das Buch so lesenswert macht. Es zeigt, dass es kein Patentrezept für die Erziehung gibt und dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen. Wichtig ist, daraus zu lernen und sich immer wieder neu auf sein Kind einzulassen.
Für Mütter, die oft unter dem Druck stehen, alles perfekt machen zu müssen, ist diese Botschaft besonders wichtig. Es ist in Ordnung, nicht immer die Antwort zu wissen. Es ist in Ordnung, sich unsicher zu fühlen. Es ist in Ordnung, Fehler zu machen. Was zählt, ist die Liebe und die Bereitschaft, für sein Kind da zu sein.
Ein Blick ins Buch: Dialoge, die unter die Haut gehen
Die Dialoge zwischen David und Jesse sind authentisch und berührend. Sie zeigen die Schwierigkeiten, aber auch die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Vater und Sohn. Hier ein kleiner Einblick:
„Jesse, leg mal kurz den Stift weg. Hör auf zu schreiben, bitte.“ „Was ist?“, fragte er. Er ist so blass, dachte ich. Die Zigaretten saugen noch die ganze Lebenskraft aus ihm heraus. Ich sagte: „ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust. Ich möchte, dass du dir überlegst, ob du in die Schule gehen willst oder nicht.“ (…) „Warum?“ Ich merkte, wie mein Herz anfing, schneller zu schlagen, das Blut stieg mir ins Gesicht. Das war eine Situation, in der ich mich noch nie befunden hatte (…). „Weil es okay ist, wenn du nicht mehr willst.“ „Was ist okay?“ (…) „Wenn du nicht mehr in die Schule willst, brauchst du nicht mehr zu gehen.“ Er räusperte sich. „Du erlaubst mir, dass ich mit der Schule aufhöre?“ „Wenn du das möchtest. Aber überleg dir’s ein paar Tage. (…)“ Er sprang auf. Er sprang immer auf, wenn ihn etwas bewegte, seine langen Gliedmaßen hielten dann nicht länger still. Er beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme, als hätte er Angst, jemand könnte mithören: „Ich muss mir das nicht überlegen.“ „Tu’s trotzdem. Ich bestehe darauf.“ Später am selben Abend trank ich mir mit ein paar Glas Wein Mut an und wählte die Nummer seiner Mutter (…)“
Diese Szene verdeutlicht die Unsicherheit und die Ängste, die Eltern in solchen Situationen empfinden. Sie zeigt aber auch den Mut, neue Wege zu gehen und seinem Kind zuzuhören.
Wenn Drogen ins Spiel kommen: Eine harteRealität
Die Geschichte nimmt eine Wendung, als Drogen ins Spiel kommen. Jesse gesteht seinem Vater, Kokain konsumiert zu haben. Ein Schock für David, aber er reagiert mit Verständnis und Mitgefühl.
„Jesse wirkte etwas wackelig, als er auf die Veranda kam. Es war wieder November, ein paar Tage vor seinem achtzehnten Geburtstag. Wie war das möglich? Anscheinend hatte er alle vier Monate Geburtstag, und ich eilte mit Riesenschritten dem Grab entgegen. Ich erkundigte mich nach seinem Abend. Ja, alles bestens, nichts Besonderes. Er war bei einem Freund. Hm. Bei welchem Freund? Pause. „Bei Dean.“ „Ich kenne Dean nicht, oder?“ „Na ja, so ein Kerl eben.“ Ein Kerl? (Wenn man Ausdrücke hört, die vollkommen aus dem Rahmen fallen, möchte man gleich die Polizei alarmieren.) „Und – was habt ihr gemacht?“ „Nicht viel. Wir haben eine Weile ferngesehen, aber es war alles eher langweilig.“ In seiner Antwort war etwas, was den Verdacht weckte, dass hier jemand versuchte, unter dem Radar durchzufliegen – jemand wollte mit allen Mitteln verhindern, dass das Gespräch sich festhakte wie ein Hemd an einem Nagel. (…) „Du scheinst etwas angeschlagen“, sagte ich. „Was hast du gestern Abend getrunken?“ „Nur Bier.“ „Keine harten Sachen?“ „Ein bisschen was schon.“ „Was?“ „Tequila.“ Ich sagte: „Von Tequila kriegt man einen üblen Kater.“ „Allerdings.“ Wieder Schweigen. Es war ein seltsam bewegungsloser Tag. Der Himmel weiß wie ein Laken. Ich sagte: „Gab’s an diesem Tequila-Abend auch Drogen?“ „Nein“, antwortete er spontan. Dann: „Doch, es gab auch Drogen.“ „Was für welche, Jesse?“ „Ich will dich nicht anlügen, okay?“ „Okay.“ Pause. Die Vorbereitung. Dann der Wurf. „Kokain. (…) Mir geht’s nicht so gut okay?“ “ Nach Kokain kann man sich total beschissen fühlen“, sagte ich leise und legte ihm die Hand auf die magere Schulter.“
Diese Szene zeigt, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Situationen für sein Kind da zu sein und ihm Unterstützung anzubieten. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Hilfe zu suchen und sich nicht zu scheuen, über Probleme zu sprechen.
Die Bühne des Lebens: Vater und Sohn finden zusammen
Die Geschichte findet ihren Höhepunkt, als Jesse seinen Vater zu einem seiner Auftritte einlädt. David ist nervös und aufgeregt, aber er möchte seinen Sohn unterstützen. Und dann erlebt er eine Überraschung:
„Ein paar Abende später geschah das Undenkbare. Jesse lud mich zu einem seiner Auftritte ein. Er spielte in dem Club nicht weit von hier, wo früher die Rolling Stones aufgetreten waren und wo die Exfrau unseres Premierministers mit einem der Gitarristen abgezogen war, glaube ich. Der Club, aus dem Jesse mich vor ein paar Jahren rausgeworfen hatte. Kurz, ein geschichtsträchtiger Ort. Ich bekam die Anweisung, ein paar Minuten vor ein Uhr nachts am Eingang zu erscheinen und mich gut zu benehmen, was so viel heißt wie: keine peinlichen Zuneigungsbekundungen, nichts, was seine Aura gefährlicher, heterosexueller „Street Credibility“ untergraben würde. (…) Nun saß ich also im Dunkeln und wartete. Mein Herz raste, weil ich so nervös war. Ich wartete, wartete. Noch mehr Jugendliche kamen, es wurde immer stickiger im Saal, schließlich trat ein junger Mann auf die Bühne (…) und forderte, unter allgemeinem Gejohle, das Publikum auf, sie sollten ihren „fucking shit“ zusammennehmen und es krachen lassen für Corrupted Nostalgia. (…) Und dann traten sie auf die Bühne, zwei schlaksige junge Männer, Jesse und Jack, der Beat von „Angels“ setzte ein, Jesse führte das Mikrophon an die Lippen, und heraus kamen diese bitteren, aggressiven Zeilen, der Aufschrei Tristans gegen Isolde (…). Das war längst nicht mehr nur der Junge, der auf dem Sofa sitzt und Filme schaut. Da, vor mir auf der Bühne, das war ein anderer, und ich hatte wieder dieses Gefühl, dass er nun wirklich von mir getrennt war, ich spürte seine Selbständigkeit …“
In diesem Moment erkennt David, dass sein Sohn seinen eigenen Weg gefunden hat und dass er ihn loslassen muss. Es ist ein bittersüßer Moment, aber er ist stolz auf Jesse und auf das, was er erreicht hat. Die Geschichte von David und Jesse ist ein Beispiel dafür, wie Elternschaft gelingen kann, auch wenn es nicht immer einfach ist. Es ist eine Geschichte über Liebe, Vertrauen und Loslassen.
Fazit: Elternschaft ist ein Abenteuer
Die Geschichte von David und Jesse ist eine Inspiration für alle Mütter, die sich im Dschungel der Erziehung manchmal verloren fühlen. Sie zeigt, dass es kein Patentrezept für eine gelungene Elternschaft gibt, sondern dass es vielmehr darum geht, sich auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes einzulassen, neue Wege zu gehen und auch mal unkonventionelle Lösungen zu finden. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen, loszulassen und seinem Kind den Raum zu geben, seinen eigenen Weg zu finden. Elternschaft ist ein Abenteuer, das mit vielen Herausforderungen verbunden ist, aber auch mit unendlich viel Liebe und Freude. Es ist ein Tanz zwischen Nähe und Distanz, der viel Fingerspitzengefühl erfordert. Aber am Ende ist es das Schönste, was es gibt: seinem Kind beim Wachsen und Werden zuzusehen und es auf seinem Weg zu begleiten.
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