Mutterschaft selbstbestimmt leben: Wie du dich von unrealistischen Erwartungen befreist

Mutter zu sein ist eine Reise voller Wunder, Herausforderungen und unendlicher Liebe. Doch inmitten des Windelwechsels, der schlaflosen Nächte und des ständigen Jonglierens zwischen Familie und Beruf, vergessen viele Mütter eine entscheidende Sache: sich selbst. Die Gesellschaft erwartet oft, dass Mütter ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen und sich voll und ganz der Familie widmen. Aber was passiert, wenn diese Erwartungen zu einem erdrückenden Druck werden, der die Freude am Muttersein trübt? Was, wenn die eigenen Träume und Wünsche auf der Strecke bleiben?

Der Mythos der perfekten Mutter

Das Bild der perfekten Mutter, das uns in den Medien und in unserem sozialen Umfeld präsentiert wird, ist oft unrealistisch und schlichtweg unerreichbar. Sie ist immer gut gelaunt, hat ein sauberes Haus, kocht gesunde Mahlzeiten, fördert ihre Kinder optimal und sieht dabei noch umwerfend aus. Dieses Idealbild setzt Mütter unter enormen Druck und führt oft zu Schuldgefühlen und Selbstzweifeln. Denn die Realität sieht meist anders aus: Müdigkeit, Stress, Überforderung und das Gefühl, nie genug zu sein, sind keine Seltenheit. Die Auseinandersetzung mit diesen Gefühlen ist entscheidend, um eine gesunde Balance zwischen den Bedürfnissen der Familie und den eigenen zu finden.

Jana Heinicke, Autorin und selbst Mutter, hat sich in ihrem Buch „Wir müssen über Mutterschaft sprechen“ intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt. Sie kritisiert die toxischen Erwartungen, die an Mütter gestellt werden, und ermutigt dazu, sich von diesen zu befreien. In einem Interview mit Eltern.de sprach sie offen über die Herausforderungen des Mutterseins und die Notwendigkeit, die eigenen Grenzen zu wahren. Heinicke beschreibt eindrücklich, wie Schwangere schnell zum „Allgemeingut“ werden, ungefragt Ratschläge erhalten und sogar körperliche Übergriffe erleben müssen. Diese Erfahrungen haben sie wütend gemacht und in eine Ohnmacht versetzt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Übergriffigkeit nicht nur von Fremden ausgeht, sondern oft auch von der eigenen Familie. Heinicke erzählt, dass sie sich von ihrer Mutter und Großmutter immer sehr geschützt und unterstützt gefühlt habe. Doch mit der Geburt ihres Kindes habe dieser emotionale Support plötzlich aufgehört. Plötzlich war sie nur noch die Mutter, die sich selbst um alles kümmern muss und keine Ansprüche mehr stellen darf. Dieses Bild ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und geht mit bestimmten Erwartungen einher.

Jana Heinicke im Interview

Jana Heinicke in glitzernder Jacke: Ein starkes Symbol für Wandel und neue Perspektiven in der Mutterschaft.

Die Erfindung der Mutterrolle

Um die Erwartungshaltung an Mütter besser zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Heinicke erklärt, dass das heutige Mutterbild eine Erfindung aus der Zeit der Aufklärung ist. Vorher habe es so etwas wie Mütterlichkeit gar nicht gegeben. Im aufkommenden Bürgertum wurden die Frauen zunehmend in private Räume verdrängt, wo sie sich um Haushalt und Kinder kümmern sollten. Plötzlich hieß es, es wäre ihre Natur, für andere Menschen zu sorgen und Harmonie zu stiften. Nur dadurch würden sie ihrer wahren Bestimmung nachkommen. Diese Vorstellung wurde unter anderem von Rousseau geprägt, der seine eigenen Kinder bereits im Säuglingsalter weggegeben hat. Es ist also eine von Männern definierte Vorstellung, die bis heute unser Bild von Mutterschaft prägt.

Diese historische Einordnung ist entscheidend, um zu erkennen, dass die Erwartungen an Mütter nicht in Stein gemeißelt sind, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Konstruktionen. Es ist an der Zeit, diese Konstruktionen zu hinterfragen und sich von ihnen zu befreien. Denn die Vorstellung, dass Muttersein in den Genen liegt, ist schlichtweg falsch. Wie Heinicke es formuliert:

Es ist wichtig, das zu wissen. Dass es sich bei diesem Mutterbild um einen unrealistischen Mythos handelt.

Die Auseinandersetzung mit diesem Mythos ist der erste Schritt, um sich von den toxischen Erwartungen zu befreien, die auf Mütter einprasseln. Es geht darum, die eigene Stimme zu finden und sich nicht von den Bewertungen anderer entmutigen zu lassen. Es geht darum, sich selbst zu erlauben, Fehler zu machen und nicht perfekt zu sein.

Die folgenden Punkte können helfen, sich von unrealistischen Erwartungen zu lösen:

  • Selbstreflexion: Hinterfrage deine eigenen Erwartungen an dich selbst als Mutter. Woher kommen diese Erwartungen? Sind sie realistisch?
  • Grenzen setzen: Lerne, „Nein“ zu sagen, wenn du dich überfordert fühlst. Du musst nicht jede Aufgabe übernehmen und nicht jedem Wunsch deiner Kinder nachkommen.
  • Selbstfürsorge: Nimm dir regelmäßig Zeit für dich selbst, um deine Batterien aufzuladen. Tue Dinge, die dir Freude bereiten und dir guttun.
  • Unterstützung suchen: Sprich mit anderen Müttern über deine Erfahrungen und Gefühle. Du bist nicht allein! Hole dir professionelle Hilfe, wenn du dich überfordert fühlst.

Mutterschaft selbstbestimmt leben

Nach der Geburt liegt der Fokus meist komplett auf dem Baby. Doch wie schafft man es, in sich nicht nur die Mutter, sondern auch das Individuum zu sehen und Mutterschaft selbstbestimmt zu leben? Heinicke betont, dass dies keine einfache Frage ist, da Mutterschaft nicht außerhalb der Strukturen gedacht werden kann, in denen wir leben. Diese Strukturen bringen streckenweise große Abhängigkeiten mit sich, vor allem finanzieller Natur, aber auch Abhängigkeiten von Personen und Infrastrukturen. Wer das Glück hat, nicht chronisch krank zu sein, keine finanziellen Sorgen und ein stabiles soziales Netz zu haben, hat gute Voraussetzungen, um sich diese Frage überhaupt stellen zu können. Fehlen diese Privilegien, ist der Gestaltungsspielraum ungleich kleiner.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es Möglichkeiten, Mutterschaft selbstbestimmter zu leben. Es beginnt damit, sich bewusst zu machen, dass man mehr ist als nur Mutter. Man ist auch Partnerin, Freundin, Kollegin, Frau mit eigenen Interessen und Bedürfnissen. Es ist wichtig, diese verschiedenen Rollen zu pflegen und sich nicht nur auf die Mutterrolle zu reduzieren. Das bedeutet, sich Zeit für den Partner zu nehmen, Freundschaften zu pflegen, Hobbys nachzugehen und beruflich aktiv zu bleiben, wenn das möglich ist. All das trägt dazu bei, die eigene Identität zu bewahren und sich nicht in der Mutterrolle zu verlieren.

Die Selbstbestimmung in der Mutterschaft bedeutet auch, eigene Entscheidungen zu treffen und sich nicht von den Meinungen anderer beeinflussen zu lassen. Ob es um die Wahl der Kita, die Erziehungsmethoden oder die Ernährung des Kindes geht, es ist wichtig, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und das zu tun, was für die eigene Familie am besten ist. Das erfordert Mut und Selbstvertrauen, aber es ist der Schlüssel zu einer erfüllten Mutterschaft.

Diese Punkte können helfen, Mutterschaft selbstbestimmter zu leben:

  • Eigene Interessen pflegen: Nimm dir Zeit für Hobbys, Sport oder andere Aktivitäten, die dir Freude bereiten.
  • Freundschaften pflegen: Triff dich regelmäßig mit Freunden und tausche dich aus.
  • Partnerschaft stärken: Nimm dir Zeit für deinen Partner und pflegt eure Beziehung.
  • Beruflich aktiv bleiben: Wenn möglich, bleibe beruflich aktiv oder plane den Wiedereinstieg in den Beruf.
  • Eigene Entscheidungen treffen: Höre auf dein Bauchgefühl und lass dich nicht von den Meinungen anderer beeinflussen.

Die ungeschönte Wahrheit über Mutterschaft

Warum haben wir heutzutage immer noch so ein Problem damit, die ungeschönte Seite der Geburt, des Wochenbetts, generell der Elternschaft oder in diesem Fall der Mutterschaft zu zeigen? Warum sprechen wir so wenig darüber? Heinicke sieht neben der Scham auch die Zeit als Problem. Sie erinnert sich an ihr erstes Jahr als Eltern, in dem sie fast daran zerbrochen wären, dass sie überhaupt nicht dazu gekommen sind, über vieles zu reden. Raum und Zeit sind im ersten Babyjahr oft Mangelware, erst recht für den Austausch in einer potenziellen Paarbeziehung. Es kostet verschiedene Ressourcen, sich ehrlich damit auseinanderzusetzen, wie es einem wirklich geht. Das für sich klar zu kriegen, dann noch in Worte zu fassen und nach außen zu transportieren, ist schon eine enorme Leistung. Erst recht in einer Phase, in der die Gesellschaft eigentlich sehr genau vorschreibt, wie man zu fühlen hat. Und dann wird diese erste Zeit auch noch mit so unrealistischen Begriffen gelabelt wie Elternzeit oder Babypause. „Als ob“, sagt Heinicke. „Es ist keine Babypause. Du hast als Eltern niemals Pause. Es müsste Baby-niemals-Pause heißen. Das wäre realistischer.“

Es ist an der Zeit, die Realität des Mutterseins anzuerkennen und offen darüber zu sprechen. Das bedeutet, auch die schwierigen Seiten zu zeigen: die Müdigkeit, die Überforderung, die Ängste, die Zweifel. Denn nur wenn wir ehrlich sind, können wir uns gegenseitig unterstützen und uns von dem Druck befreien, perfekt sein zu müssen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es in Ordnung ist, nicht immer alles im Griff zu haben und dass jede Mutter ihren eigenen Weg finden muss.

Diese Punkte können helfen, die ungeschönte Wahrheit über Mutterschaft zu zeigen:

  • Offen über Gefühle sprechen: Teile deine Ängste, Zweifel und Überforderungen mit anderen Müttern.
  • Realistische Erwartungen haben: Sei dir bewusst, dass es nicht immer einfach ist und dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen.
  • Unterstützung anbieten: Hilf anderen Müttern, wenn sie Unterstützung brauchen.
  • Tabus brechen: Sprich über Themen, die oft tabuisiert werden, wie Wochenbettdepressionen oder sexuelle Unlust.

Fazit

Muttersein ist eine wunderschöne, aber auch herausfordernde Reise. Es ist wichtig, sich von den unrealistischen Erwartungen der Gesellschaft zu befreien und die Mutterschaft selbstbestimmt zu leben. Das bedeutet, die eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen, sich Zeit für sich selbst zu nehmen, die Partnerschaft zu pflegen und offen über die schwierigen Seiten des Mutterseins zu sprechen. Es bedeutet auch, sich gegenseitig zu unterstützen und sich von dem Druck zu befreien, perfekt sein zu müssen. Denn am Ende geht es darum, eine glückliche und erfüllte Mutter zu sein, die ihren Kindern ein gutes Vorbild ist. Und das gelingt am besten, wenn man sich selbst treu bleibt und auf sein eigenes Bauchgefühl hört.

QUELLEN

Eltern.de

Lese auch