Die Erziehung unserer Kinder ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir im Leben übernehmen. Doch was, wenn die Ratschläge und Erwartungen von außen so laut werden, dass sie uns fast erdrücken? Was, wenn der Druck, alles richtig zu machen, die Freude am Elternsein trübt? Genau diesen Fragen ist ein internationales Forscherteam nachgegangen und hat herausgefunden, dass das Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen, einen enormen Einfluss auf unser Wohlbefinden als Eltern hat.
Der globale Erziehungsdschungel: Zwischen Druck und Freiheit
Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem fremden Land und versuchen, sich in einer neuen Sprache zurechtzufinden. Überall um Sie herum sprechen Menschen, geben Ratschläge und scheinen genau zu wissen, was richtig ist. So ähnlich kann sich das Elternsein anfühlen, besonders wenn man ständig mit unterschiedlichen Meinungen und Erwartungen konfrontiert wird. Eine Mutter aus Nigeria erzählt im Rahmen der Studie von Kantar und Nestlé, wie wildfremde Menschen auf der Straße ungefragt ihre Erziehung kommentieren. Eine schwedische Mutter kennt das Phänomen auch und nennt es treffend „Momsplaining“.
Die Studie, für die über 8000 Eltern in 16 Ländern befragt wurden, zeigt, dass wir alle im selben Boot sitzen. Egal ob in Lagos, Uppsala oder New York – Elternsein ist ein Wechselbad der Gefühle, geprägt von Glück, Unsicherheit und dem ständigen Wunsch, alles richtig zu machen. Doch was bedeutet „richtig“ überhaupt? Und wer bestimmt das?
Globale Erziehung – Ein Kind in den Händen halten: Der Globus in den Händen symbolisiert die Verantwortung für zukünftige Generationen.
Der Preis des Perfektionismus: Wenn Erwartungen erdrücken
Besonders deutlich wird der Druck in China. Hier fühlen sich über 70 Prozent der Eltern von ihrer Umgebung massiv beeinflusst. Das hat historische Gründe: Die Ein-Kind-Politik hat über Generationen hinweg die Vorstellung geprägt, dass dieses eine Kind perfekt sein muss. Und die Eltern tragen die alleinige Verantwortung dafür. Dieser Perfektionismus führt dazu, dass chinesische Mütter besonders häufig unter dem Babyblues leiden.
Doch auch in anderen Ländern, in denen die Familie eine große Rolle spielt, wie Brasilien und Mexiko, ist der Einfluss der Großeltern und anderer Verwandter spürbar. Während brasilianische Mütter den ständigen Ratschlägen eher kritisch gegenüberstehen, empfinden mexikanische Mütter die geteilte Verantwortung als entlastend. Hier zeigt sich, wie kulturelle Unterschiede unsere Wahrnehmung prägen.
Die Ergebnisse des „Parenting Index“ zeigen deutlich, dass der gefühlte Druck einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden junger Eltern hat. Ob wir uns unterstützt fühlen oder uns ständig rechtfertigen müssen, macht über 20 Prozent unseres Glücks aus. Und gerade Mütter leiden oft unter traditionellen Rollenbildern und Schuldgefühlen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Stabilität und das Verhalten des Babys spielen zwar auch eine Rolle, sind aber weniger entscheidend.
Viele Eltern suchen Rat bei Ärzten, Familienmitgliedern oder Partnern. Doch oft wird es zu viel, besonders wenn der Rat ungebeten kommt. Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, dass jeder um sie herum eine Meinung hat und diese auch äußert, ob man sie hören will oder nicht. Da hilft manchmal nur, freundlich zu nicken und den Redeschwall zu ignorieren. Elternsein ist ein Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und dem Wunsch nach Vorbildern. Und viele geben zu, dass das neue Leben anstrengender ist, als sie es sich vorgestellt haben.
Die Fähigkeit, sich von äußeren Erwartungen zu befreien und den eigenen Weg als Familie zu finden, ist entscheidend für das Wohlbefinden und die Freude am Elternsein.
Deutschland: Ein Lichtblick im Erziehungsdschungel?
Und wie sieht es bei uns in Deutschland aus? Tatsächlich schneiden deutsche Eltern in der Befragung gar nicht so schlecht ab. Sie gehören zu den entspanntesten Nationen, noch vor Mexiko und Israel. Das liegt wohl daran, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat: Es gibt mehr und bessere Betreuungsmöglichkeiten, eine gerechtere Rollenverteilung und staatliche Unterstützung. Der alte Streit zwischen „Rabenmüttern“ und „Helikopter-Eltern“ scheint langsam zu verblassen. Deutsche Eltern haben die Erwartung, dass sie Kinderbetreuung und Arbeitsleben gut vereinbaren können und so das Beste aus beiden Welten haben.
Dennoch gibt es auch hierzulande noch Luft nach oben. Ein Blick nach Schweden, dem skandinavischen Musterknaben, zeigt, dass es noch entspannter geht. Schwedische Eltern leiden am wenigsten unter äußerem Druck. Allerdings sind sie die einzigen, die mehr mit ihrem inneren Kritiker zu kämpfen haben. Wenn die Umstände so ideal sind, von langer Elternzeit bis zu geschlechtergerechter Aufgabenteilung, gibt es eben niemanden, dem man die Schuld geben kann, wenn mal etwas schiefgeht.
Elsa, die schwedische Mutter aus dem Video, hat einen guten Tipp: „Erst mal bei sich selbst anfangen. Aufhören mit dem Momsplaining. Was wir alle brauchen, mehr als alles andere, ist Unterstützung und Gemeinschaft.“ Und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Denn am Ende des Tages geht es nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam zu wachsen.
Das „Loneliness Paradox“: Wenn die Einsamkeit trotz Kind kommt
Ein weiteres Phänomen, das die Studie aufdeckt, ist das „Loneliness Paradox“. Man hat sich ein Baby gewünscht und fühlt sich in der ersten Zeit mit Kind dennoch einsam. Dieses Gefühl ist besonders unter britischen Müttern verbreitet. In Großbritannien ist Einsamkeit ein großes gesellschaftliches Thema, mit dem sich sogar eine Regierungskommission beschäftigt.
Und wie sieht es beim zweiten Kind aus? Wird alles besser? Jein, sagen die Forscher. Zwar wächst mit der Routine auch die Sicherheit im Umgang mit einem Baby, aber der äußere und innere Druck, sich zu rechtfertigen, wird laut Befragungen nicht geringer. Es bleibt also wichtig, sich auch beim zweiten Kind bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen und sich nicht von den Erwartungen anderer erdrücken zu lassen.
Für Mütter, die sowohl ihre Karriere als auch ihr Familienleben meistern wollen, gibt es einige bewährte Strategien. Effizientes Zeitmanagement, die Nutzung von digitalen Planungstools und eine klare Aufgabenverteilung in der Familie können helfen, den Alltag zu entlasten. Auch die Inanspruchnahme von professioneller Kinderbetreuung und die Nutzung von smarten Haushaltsgeräten können Freiräume schaffen. Und nicht zuletzt ist es wichtig, sich bewusst Zeit für Selbstfürsorge und Entspannung zu nehmen, um den Stress zu bewältigen und die eigene Energie aufzutanken. Denn nur wer gut für sich selbst sorgt, kann auch gut für seine Kinder da sein.
Fazit: Mut zur eigenen Erziehung
Die globale Studie zeigt, dass Elternsein überall auf der Welt mit ähnlichen Herausforderungen verbunden ist. Der Druck von außen, die eigenen Erwartungen und das Gefühl, alles richtig machen zu müssen, können die Freude am Elternsein trüben. Doch es gibt auch Hoffnung: Länder wie Deutschland und Schweden zeigen, dass eine gute Infrastruktur, eine gerechtere Rollenverteilung und gegenseitige Unterstützung den Druck reduzieren können. Am wichtigsten ist es jedoch, sich von äußeren Erwartungen zu befreien, auf die eigenen Bedürfnisse und die des Kindes zu hören und den eigenen Weg als Familie zu finden. Denn jede Familie ist einzigartig und hat das Recht, ihre eigene Erziehung zu leben.
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