Sexualerziehung für Kinder: Warum offene Kommunikation über den Körper wichtig ist

In einer Welt, in der Mütter unzählige Rollen jonglieren – von der liebevollen Erzieherin bis zur geschäftstüchtigen Karrierefrau –, gerät ein Thema oft in den Hintergrund: die offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und der Sexualität, und wie wir dieses Wissen an unsere Kinder weitergeben. Es ist ein Gespräch, das oft im Flüsterton geführt wird, voller Unsicherheiten und falscher Annahmen. Aber was, wenn wir diesen Kreislauf durchbrechen könnten? Was, wenn wir unseren Kindern von klein auf eine Sprache vermitteln, die es ihnen erlaubt, ihren Körper selbstbewusst und ohne Scham zu erkunden?

## Die Sprachlosigkeit durchbrechen: Warum es wichtig ist, dass Kinder ihren Körper kennen

Es beginnt oft schon im Babyalter. Beim Wickeln, beim Baden, beim Anziehen. Wir benutzen Kosewörter oder weichen ganz aus, wenn es um die Genitalien unserer Kinder geht. „Da unten“, „die Blüte“, „der kleine Mann“ – die Liste der Euphemismen ist lang. Doch diese Verniedlichungen, so harmlos sie auch erscheinen mögen, können eine subtile Botschaft senden: dass es sich um einen Körperteil handelt, über den man nicht offen sprechen darf. Und diese Botschaft kann sich tief in das Unterbewusstsein unserer Kinder einprägen, mit Auswirkungen, die bis ins Erwachsenenalter reichen.

Stellen Sie sich vor, ein Kind verletzt sich und kann den betroffenen Körperteil nicht genau benennen. Wie soll es dann adäquat Hilfe bekommen? Oder noch schlimmer: Was, wenn ein Kind sexuell missbraucht wird und nicht die richtigen Worte findet, um zu beschreiben, was geschehen ist? Eine präzise Sprache ist nicht nur eine Frage der Korrektheit, sondern auch des Schutzes und der Selbstbestimmung.

Die Gesundheitspsychologin Katharina Schönborn-Hotter, die Pädagogin Lisa Charlotte Sonnberger und der Theatermacher Florian Staffelmayr haben sich diesem wichtigen Thema angenommen und das Aufklärungsbuch „Lina die Entdeckerin“ geschrieben. Sie sind überzeugt, dass die Neugierde auf den eigenen Körper Spaß machen sollte und dass es an der Zeit ist, eine offene und ehrliche Kommunikation über Sexualität zu fördern.

Die Welt verändert sich rasant, und mit ihr die Herausforderungen, denen sich Eltern stellen müssen. Die traditionelle Rollenverteilung weicht immer mehr einem partnerschaftlichen Modell, in dem beide Elternteile berufstätig sind und gleichzeitig die Verantwortung für die Kindererziehung tragen. In diesem dynamischen Umfeld ist es unerlässlich, dass wir uns als Mütter immer wieder neu erfinden und uns den Bedürfnissen unserer Kinder anpassen. Dazu gehört auch, Tabus zu brechen und eine offene Kommunikation über Themen zu fördern, die uns vielleicht unangenehm sind.

## „Sprache schafft Wirklichkeit“: Die Macht der Worte

Wie oft haben wir uns selbst dabei ertappt, Schimpfwörter oder Verniedlichungen zu verwenden, wenn es um die weiblichen Geschlechtsorgane geht? „Scheide“, „Ritze“, „Spalte“ – diese Begriffe reduzieren die Vulva auf eine Körperöffnung, in die etwas eingeführt werden kann. Sie spiegeln eine patriarchale Sichtweise wider, in der die weibliche Sexualität nur im Zusammenhang mit dem männlichen Körper gedacht wird. Aber was ist mit der Lust, der Autonomie, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau?

Es ist an der Zeit, diese veralteten Vorstellungen zu hinterfragen und eine neue Sprache zu entwickeln, die die Vielfalt und Komplexität der weiblichen Sexualität widerspiegelt. Eine Sprache, die es Mädchen und Frauen ermöglicht, ihren Körper selbstbewusst zu erkunden und ihre Bedürfnisse auszudrücken. Denn:

Sprache ist der erste Schritt, um einen sensiblen und selbstbestimmten Umgang mit den Themen Geschlecht und Sexualität zu erreichen.

Diese Worte von Lisa Charlotte Sonnberger treffen den Nagel auf den Kopf. Sprache ist nicht nur ein Werkzeug zur Kommunikation, sondern auch ein Spiegel unserer Denkweise und unserer Werte. Wenn wir unseren Kindern eine Sprache vermitteln, die von Scham und Unbehagen geprägt ist, wie sollen sie dann ein positives Körpergefühl entwickeln und eine selbstbestimmte Sexualität leben?

## Kosewörter ja, aber mit Präzision: Ein Balanceakt

Sind Kosewörter wie „Mumu“ oder „Pillemann“ also grundsätzlich schlecht? Nicht unbedingt. Sie können eine liebevolle und spielerische Art sein, sich dem Thema zu nähern. Aber es ist wichtig, dass Kinder auch die präzisen Begriffe kennen und sie im Zweifelsfall verwenden können. Stellen Sie sich vor, ein Kind muss einem Arzt oder einer Erzieherin erklären, wo es Schmerzen hat. Oder noch schlimmer: Was, wenn es sexuell belästigt wird und nicht die richtigen Worte findet, um zu beschreiben, was geschehen ist? In solchen Situationen ist es entscheidend, dass Kinder auf ein breites Vokabular zurückgreifen können.

Mädchen spielt mit Bauklötzen

Spielerische Kindheit: Wie Kinder durch Spielen lernen

Es geht also darum, einen Balanceakt zu finden zwischen liebevoller Vertrautheit und präziser Aufklärung. Eltern können Kosewörter verwenden, aber gleichzeitig die korrekten anatomischen Bezeichnungen einführen und erklären, warum es wichtig ist, diese zu kennen. So können Kinder ein positives Körpergefühl entwickeln und gleichzeitig lernen, sich selbst zu schützen.

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und der Sexualität sollte nicht erst in der Pubertät beginnen. Schon im Uterus berühren Babys ihre Geschlechtsorgane. Es ist ein natürlicher Teil der kindlichen Entwicklung, der nicht tabuisiert werden sollte. Eltern können ihren Kindern einen sicheren Raum bieten, in dem sie ihren Körper erkunden und Fragen stellen können. Und sie können ihnen eine Sprache vermitteln, die es ihnen ermöglicht, ihre Erfahrungen auszudrücken und ihre Grenzen zu setzen.

## Aufklärung ist mehr als „Blümchen und Bienchen“: Ein lebenslanger Prozess

Die traditionelle Sexualaufklärung, die sich auf die biologischen Aspekte der Fortpflanzung konzentriert, greift zu kurz. Sie lässt die emotionalen, sozialen und kulturellen Dimensionen der Sexualität außer Acht. Eine zeitgemäße Aufklärung sollte von einer lebenslangen Betrachtung ausgehen, die sich an den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes anpasst. Sie sollte Themen wie Körpergefühl, Beziehungen, Grenzen, Lust und sexuelle Vielfalt umfassen.

Es ist wichtig, dass Eltern sich selbst weiterbilden und sich mit den neuesten Erkenntnissen der Sexualpädagogik auseinandersetzen. Es gibt zahlreiche Bücher, Websites und Beratungsstellen, die Eltern bei dieser Aufgabe unterstützen können. Und es ist wichtig, dass Eltern offen für die Fragen und Bedürfnisse ihrer Kinder sind und ihnen ehrlich und altersgerecht antworten. Denn:

  • Die Beziehung zum Körper, nicht nur die sexuelle, ist das ganze Leben relevant.
  • Es ist wichtig, dass Fachleute von außen in die Schulen kommen, da Lehrkräfte meist keine ausgebildeten Sexualpädagogen sind.

Gerade in der heutigen Zeit, in der Kinder und Jugendliche über das Internet mit einer Flut von Informationen konfrontiert werden, ist eine umfassende Aufklärung unerlässlich. Eltern sollten sich bewusst machen, dass ihre Kinder sich Antworten suchen werden – wenn nicht zu Hause oder in der Schule, dann eben im Internet. Und dort lauern Gefahren wie Mythen, Halbwissen und verzerrte Körperbilder. Es ist also besser, das Gespräch selbst zu suchen und den Kindern eine fundierte und altersgerechte Aufklärung zu bieten.

## Glossar: Begriffe auf dem Prüfstand

Um eine offene und ehrliche Kommunikation über Sexualität zu fördern, ist es wichtig, die Bedeutung und die Konnotationen der verschiedenen Begriffe zu kennen. Hier ist ein kleines Glossar, das einige der wichtigsten Begriffe auf den Punkt bringt und erklärt, warum sie manchmal falsch gebraucht und falsch verstanden werden:

* **Aufklärung:** Hört nie auf. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse und Perspektiven zu entdecken.
* **Geschlechtsverkehr:** Beschreibt im traditionellen Verständnis den Vaginalverkehr zwischen Mann und Frau. Es gibt aber viele andere Formen der Sexualität.
* **Hygiene:** Warmes Wasser reicht zur Reinigung des Genitalbereichs völlig aus. Seifen können den PH-Wert stören.
* **Intimbehaarung:** Hat eine Funktion bei der Hygiene und regt Nervenzellen bei Berührung an.
* **Jungfernhäutchen:** Der Begriff suggeriert, dass die Vagina hermetisch abgeriegelt ist. Es gibt aber keine geschlossene Haut in der Vagina, die anzeigt, ob eine Frau noch „Jungfrau“ ist.
* **Klitoris:** Ist ein Schwellkörper, von dem nur ein kleiner Teil von außen sichtbar ist. Sie hat mit etwa 8000 Nervenenden doppelt so viele wie die männliche Eichel.
* **Mumu:** Verniedlichend/umgangssprachlich für Vulva.
* **Pillemännchen:** Verniedlichend/umgangssprachlich für Penis.
* **Schamlippen:** Der Begriff suggeriert, dass Frauen sich für ihren Körper schämen sollten.
* **Vulva:** Beschreibt den gesamten äußeren, sichtbaren Teil der weiblichen Geschlechtsorgane.

## Fazit: Ein neuer Weg zu mehr Körpergefühl

Die Reise zu einer offenen und ehrlichen Kommunikation über Sexualität ist ein Prozess, der Zeit, Geduld und Mut erfordert. Aber es ist eine Reise, die sich lohnt. Denn sie ermöglicht es unseren Kindern, ein positives Körpergefühl zu entwickeln, ihre Grenzen zu setzen und eine selbstbestimmte Sexualität zu leben.

Es beginnt mit der Sprache, die wir verwenden. Indem wir präzise und respektvolle Begriffe wählen, können wir das Tabu brechen und eine Kultur der Offenheit und Akzeptanz fördern. Es geht aber auch darum, sich selbst weiterzubilden, Vorurteile abzubauen und den Kindern einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie ihre Fragen stellen und ihre Erfahrungen teilen können.

Als Mütter haben wir die Macht, den Kreislauf der Sprachlosigkeit zu durchbrechen und unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen, in der sie ihren Körper lieben und ihre Sexualität selbstbewusst leben können.

QUELLEN

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