In der Hektik des Alltags, zwischen Job, Haushalt und den Bedürfnissen der Kinder, vergessen Mütter oft, wie wichtig es ist, ihren Kindern den Raum zu geben, sich mit ihren Sorgen auseinanderzusetzen. Anstatt sie vor jedem Problem zu bewahren, können Eltern ihren Kindern beibringen, wie sie ihre Ängste konstruktiv nutzen und widerstandsfähiger werden.
Die Kunst des konstruktiven Sorgens
Die renommierte Neuropsychologin Taryn Marie Stejskal, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Resilienz beschäftigt, hat eine überraschende Antwort auf die Frage, wie wir widerstandsfähige Kinder erziehen: Indem wir ihnen beibringen, sich auf gute Weise Sorgen zu machen. Ihre Forschung zeigt, dass es nicht darum geht, Kinder vor allen Widrigkeiten zu schützen, sondern ihnen die Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Ängste bewältigen und daran wachsen können. Es geht darum, einen gesunden Umgang mit Sorgen zu fördern, anstatt sie zu unterdrücken oder zu ignorieren. Das bedeutet, Kindern beizubringen, ihre Ängste zu erkennen, zu akzeptieren und konstruktiv zu verarbeiten. Kinder, die gelernt haben, sich auf gute Weise Sorgen zu machen, sind besser in der Lage, mit Stress umzugehen, Herausforderungen anzunehmen und aus ihren Fehlern zu lernen. Sie entwickeln ein starkes Selbstvertrauen und die Fähigkeit, sich auch in schwierigen Situationen selbst zu helfen.
Sorgensitzungen: Ein fester Termin für Ängste
Eltern neigen oft dazu, ihre Kinder mit Sätzen wie „Mach dir keine Sorgen“ oder „Du brauchst keine Angst zu haben“ zu beruhigen. Doch diese gut gemeinten Worte können kontraproduktiv sein, da sie die Gefühle des Kindes abwerten und ihm das Gefühl geben, mit seinen Ängsten allein zu sein. Stattdessen empfiehlt es sich, einen festen Termin für „Sorgensitzungen“ einzurichten. Während dieser Sitzungen, die beispielsweise fünf Minuten dauern können, darf das Kind all seine Sorgen und Ängste äußern, ohne unterbrochen oder bewertet zu werden. Es kann darüber sprechen, seine Ängste aufschreiben oder sie auf andere Weise zum Ausdruck bringen. Wichtig ist, dass das Kind sich in diesem Moment sicher und geborgen fühlt und weiß, dass seine Gefühle ernst genommen werden. Nach Ablauf der Zeit wird das Kind ermutigt, seine Sorgen loszulassen und sich anderen Dingen zuzuwenden. Wenn die Ängste später wieder auftauchen, kann das Kind sich darauf vertrösten, dass sie in der nächsten Sorgensitzung wieder Raum bekommen werden.
Die Sorgenbox: Ein sicherer Ort für Ängste
Eine weitere hilfreiche Methode, um Kindern den Umgang mit ihren Sorgen zu erleichtern, ist die Einführung einer Sorgenbox. Dabei gestaltet das Kind eine spezielle Kiste oder ein schönes Glas, in das es alle seine Sorgen und Ängste auf kleine Zettel schreiben und hineinwerfen kann. Die Sorgenbox dient als eine Art „Sicherheitsventil“, in dem die Ängste des Kindes aufgefangen werden. Sobald die Sorge in der Box ist, kann das Kind sich darauf konzentrieren, sie loszulassen und nicht mehr darüber nachzugrübeln. Eltern können ihre Kinder darin unterstützen, eine Sorgenbox zu gestalten und zu nutzen, indem sie ihnen Materialien zur Verfügung stellen, ihnen bei der Gestaltung helfen und ihnen erklären, wie die Box funktioniert. Es ist wichtig, dass das Kind die Sorgenbox als einen sicheren und vertrauenswürdigen Ort wahrnimmt, an dem seine Ängste willkommen sind.
Kreativer Umgang mit Kinderängsten: Eine Sorgenbox hilft, den kindlichen Umgang mit Ängsten zu erlernen und zu strukturieren.
Alternativ zur Sorgenbox können auch Kuscheltier-Sorgenfresser oder südamerikanische Sorgenpüppchen verwendet werden. Diese kleinen Helfer dienen als Ansprechpartner für die Ängste des Kindes und helfen ihm, diese abzugeben, anstatt sie mit sich herumzutragen. Die Wahl des passenden „Sorgenfressers“ hängt von den Vorlieben des Kindes ab. Wichtig ist, dass das Kind eine positive Beziehung zu dem gewählten Objekt aufbaut und es als eine Quelle des Trostes und der Unterstützung wahrnimmt.
„Es ist nicht die Aufgabe der Eltern, alle Sorgen aus dem Leben ihrer Kinder fernzuhalten, sondern ihnen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um Ängste bewältigen zu können.“
Das Worst-Case-Szenario: Ängste entzaubern
Eine weitere wirksame Methode, um Kindern den Umgang mit ihren Ängsten zu erleichtern, ist die Auseinandersetzung mit dem Worst-Case-Szenario. Anstatt die Ängste des Kindes zu ignorieren oder zu verharmlosen, können Eltern es ermutigen, sich das Schlimmste, was passieren könnte, lebhaft auszumalen. Dies mag zunächst paradox erscheinen, aber es kann dem Kind helfen, seine Ängste zu entzaubern und zu erkennen, dass sie oft irrational oder übertrieben sind. Eltern können diese Übung spielerisch gestalten, indem sie sich gegenseitig im Ausmalen der schlimmsten Möglichkeiten übertreffen. Anschließend können sie gemeinsam überlegen, wie sie mit dem Worst-Case-Szenario umgehen würden. Was würden sie tun, wenn das Kind eine Prüfung nicht besteht? Welche Unterstützung könnten sie ihm anbieten? Diese Übung hilft dem Kind, eine andere Perspektive einzunehmen und zu erkennen, dass es auch mit schwierigen Situationen klarkommen wird und dass es immer Wege gibt, um Probleme zu bewältigen. Darüber hinaus vermittelt sie dem Kind die Botschaft, dass es wichtig und geliebt ist, egal was passiert.
Diese Technik ist besonders wertvoll, da sie nicht nur die Angst selbst adressiert, sondern auch die Fähigkeit zur Problemlösung fördert. Indem Kinder lernen, potenzielle negative Ergebnisse zu antizipieren und Pläne zu entwickeln, um diese zu bewältigen, entwickeln sie ein Gefühl der Kontrolle und Zuversicht. Dieses Gefühl der Kontrolle ist entscheidend, um Resilienz aufzubauen und sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen.
Die Macht positiver Gedanken
Kinder neigen oft dazu, sich nur auf die negativen Aspekte einer Situation zu konzentrieren. Eltern können ihnen helfen, ihre Perspektive zu erweitern, indem sie sie ermutigen, sich auch das Beste vorzustellen, das passieren kann. Anstatt sich nur auf die möglichen Gefahren einer Situation zu konzentrieren, können Kinder lernen, sich auch die positiven Ergebnisse und Erfahrungen vorzustellen. Die Neuropsychologin Taryn Marie Stejskal erzählt von einer Urlaubsanekdote mit ihrem Sohn, der vor einer Fahrt mit dem Heißluftballon große Angst hatte. Anstatt seine Ängste zu ignorieren, ermutigte sie ihn, sich vorzustellen, wie er mit dem Wind im Haar über der Erde schwebt. Dieser Perspektivwechsel half ihm, seine Ängste zu überwinden und die Ballonfahrt zu genießen. Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern helfen, eine ausgewogene Sichtweise zu entwickeln, die sowohl die potenziellen Risiken als auch die möglichen Chancen einer Situation berücksichtigt. Dies kann ihnen helfen, ihre Ängste zu relativieren und mutiger und selbstbewusster zu werden.
Positive Ergebnisse betonen
Auch nach einer potenziell angstauslösenden Situation ist es wichtig, die positiven Aspekte hervorzuheben. Selbst wenn nicht alles perfekt gelaufen ist, können Eltern ihren Kindern helfen, die positiven Erfahrungen und Erkenntnisse zu erkennen. Im Fall der Ballonfahrt von Taryn Marie Stejskals Sohn gab es während der Landung unerwartete Schwierigkeiten. Anstatt sich auf die potenziellen Gefahren zu konzentrieren, bekräftigte Stejskal für ihren Sohn, was gut gelaufen war: „Wir sind sicher gelandet und konnten eine atemberaubende Aussicht genießen. Obwohl er Angst gehabt habe, sei es am Ende eine großartige Erfahrung gewesen.“ Diese positive Rückmeldung half ihrem Sohn, sich selbstsicher und belastbar zu fühlen und die Erfahrung als eine wertvolle Lektion zu betrachten. Eltern können ihren Kindern helfen, ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken, indem sie ihnen regelmäßig positive Rückmeldungen geben, ihre Erfolge feiern und sie ermutigen, aus ihren Fehlern zu lernen.
Indem Eltern ihren Kindern beibringen, sich auf gute Weise Sorgen zu machen, können sie ihnen helfen, ein starkes Selbstvertrauen, eine hohe Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit zu entwickeln, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Es ist ein Geschenk, das sie ihren Kindern mit auf den Weg geben können, um ein erfülltes und erfolgreiches Leben zu führen.
Fazit
Die Erziehung widerstandsfähiger Kinder ist eine der größten Herausforderungen und zugleich eine der lohnendsten Aufgaben für Eltern. Anstatt Kinder vor allen Sorgen und Ängsten zu bewahren, ist es wichtig, ihnen den Raum zu geben, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen und einen gesunden Umgang damit zu entwickeln. Mit Methoden wie Sorgensitzungen, Sorgenboxen, der Auseinandersetzung mit dem Worst-Case-Szenario und dem Fokus auf positive Ergebnisse können Eltern ihren Kindern helfen, ihre Ängste zu entzaubern, ihr Selbstvertrauen zu stärken und ihre Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Es geht darum, Kinder zu befähigen, ihre Ängste als Chance für Wachstum und Entwicklung zu nutzen und sich den Herausforderungen des Lebens mutig und selbstbewusst zu stellen. Denn am Ende ist es nicht die Abwesenheit von Sorgen, sondern die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, die den Unterschied macht.
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