Es ist ein Phänomen, das viele Mütter kennen: Zuhause herrscht das reinste Chaos, die Kinder benehmen sich, als wären sie von allen guten Geistern verlassen, und kaum sind sie beim Vater, verwandeln sie sich in kleine Engel. Plötzlich sind die Socken nicht mehr unter dem Bett versteckt, sondern im Wäschekorb, und das „Nein“ wird nicht mehr mit einem trotzigen Blick quittiert.
Das Phänomen der Verwandlung
Dieses Verhalten, das viele Mütter von Söhnen kennen, wirft Fragen auf und nagt am Selbstwertgefühl. Bin ich eine schlechte Mutter? Habe ich meine Kinder nicht im Griff? Warum respektieren sie mich nicht so wie ihren Vater? Diese Fragen sind verständlich, denn es ist frustrierend, wenn die eigenen Kinder einem das Gefühl geben, machtlos zu sein. Die Realität ist jedoch oft komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Es geht nicht zwangsläufig darum, dass Mütter etwas falsch machen, sondern vielmehr um die Dynamik, die zwischen Kindern und ihren getrennten Elternteilen entsteht.
Manchmal scheint es, als würden Kinder zwei verschiedene Persönlichkeiten entwickeln – eine für Mama und eine für Papa. Bei Mama wird ausgetestet, wie weit man gehen kann. Hier wird gelacht, geweint, getrotzt und geliebt. Bei Papa hingegen wird aufgeräumt, gehorcht und sich von der besten Seite gezeigt. Doch warum ist das so?
Ein Grund dafür könnte sein, dass Kinder die Zeit mit dem getrennt lebenden Elternteil als etwas Besonderes wahrnehmen. Sie wollen diese Zeit genießen und keine Konflikte riskieren. Außerdem spielt oft eine Rolle, dass Väter nach einer Trennung dazu neigen, weniger streng zu sein und mehr zu verwöhnen, um die wenige Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen, so angenehm wie möglich zu gestalten. Das führt dazu, dass die Kinder bei Papa weniger Regeln befolgen müssen und sich freier fühlen.
Aber auch die Mutter-Kind-Beziehung selbst kann eine Rolle spielen. Mütter sind oft die Hauptbezugspersonen im Alltag ihrer Kinder. Sie sind für die Erziehung, die Organisation des Familienlebens und die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zuständig. Diese enge Bindung kann dazu führen, dass Kinder sich bei ihren Müttern sicherer fühlen und ihre Grenzen austesten, ohne Angst vor Liebesentzug haben zu müssen.
Warum benehmen sich Kinder unterschiedlich bei Eltern? Ein stiller Moment der Reflexion.
Die Rolle der Mutter: Zwischen Alltag und Erwartungen
Mütter stehen oft unter einem enormen Druck. Sie sollen nicht nur ihre Kinder erziehen, sondern auch den Haushalt führen, arbeiten gehen und sich selbst verwirklichen. Dieser Spagat zwischen Familie und Beruf führt oft zu Stress und Überforderung. Und wenn dann noch das Gefühl hinzukommt, dass die eigenen Kinder einen nicht respektieren, kann das sehr belastend sein.
Viele Mütter kennen das Gefühl, ständig ermahnen zu müssen, hinter ihren Kindern aufzuräumen und sich immer wieder mit dem gleichen Verhalten auseinandersetzen zu müssen. Das zehrt an den Nerven und führt dazu, dass man sich als Mutter hilflos und überfordert fühlt.
Doch es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Verhalten nicht zwangsläufig ein Zeichen von Respektlosigkeit ist. Oft ist es einfach nur ein Ausdruck der kindlichen Entwicklung. Kinder müssen lernen, Regeln zu befolgen und Verantwortung zu übernehmen. Und das ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert.
Hinzu kommt, dass Kinder oft sehr feinfühlig sind und spüren, wenn ihre Mutter gestresst oder überfordert ist. Sie reagieren dann mit Trotz oder Ungehorsam, um Aufmerksamkeit zu bekommen oder ihre eigenen Unsicherheiten zu kompensieren. Es ist also wichtig, als Mutter auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sich Auszeiten zu nehmen, um neue Energie zu tanken. Nur so kann man den Herausforderungen des Familienlebens gewachsen sein und eine positive Beziehung zu seinen Kindern aufbauen.
Die Keythesis: Sicherheit als Ursache
Die Rechtspsychologin Dr. Marianne Kalinowsky-Czech erklärt das Phänomen so: „Ihre Kinder sind sich der bedingungslosen Zuwendung des Elternteils, bei dem sie sich im Alltag überwiegend aufhalten, sicherer. Wenn sie sich also woanders besser benehmen als bei Ihnen, sehen Sie es als Bestätigung Ihrer Zuwendung zu den Kindern. Je mehr Verhaltensauffälligkeiten sie zeigen, desto mehr geben sie sich, wie sie eben sind, ohne einen Liebesentzug fürchten zu müssen …“
Kinder benehmen sich bei dem Elternteil schlechter, bei dem sie sich sicherer fühlen, weil sie dort keine Angst vor Liebesentzug haben.
Diese Erkenntnis kann für viele Mütter eine Erleichterung sein. Es bedeutet nicht, dass sie etwas falsch machen, sondern dass ihre Kinder ihnen vertrauen und sich bei ihnen geborgen fühlen. Sie können sich fallen lassen und müssen nicht ständig auf ihr Verhalten achten, weil sie wissen, dass ihre Mutter sie trotzdem liebt.
Es ist wichtig, dieses Wissen als Chance zu begreifen. Es bietet die Möglichkeit, die Beziehung zu den Kindern noch weiter zu vertiefen und eine Atmosphäre des Vertrauens und der Geborgenheit zu schaffen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, klare Grenzen zu setzen und Konsequenzen aufzuzeigen, wenn Regeln gebrochen werden. Eine liebevolle, aber konsequente Erziehung ist der Schlüssel zu einer harmonischen Mutter-Kind-Beziehung.
Was können Mütter tun? Pädagogische Strategien
Auch wenn es tröstlich ist zu wissen, dass das schlechte Benehmen der Kinder ein Zeichen von Vertrauen sein kann, wünschen sich Mütter natürlich trotzdem, dass ihre Kinder sich besser benehmen. Es gibt verschiedene pädagogische Strategien, die Mütter ausprobieren können, um das Verhalten ihrer Kinder positiv zu beeinflussen:
- Klare Regeln aufstellen: Kinder brauchen klare Regeln und Grenzen, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Die Regeln sollten altersgerecht sein und gemeinsam mit den Kindern aufgestellt werden. Es ist wichtig, dass die Regeln konsequent eingehalten werden und bei Verstößen Konsequenzen folgen.
- Positive Verstärkung: Loben Sie Ihre Kinder, wenn sie sich gut benehmen. Positive Verstärkung ist effektiver als Bestrafung. Wenn Ihre Kinder wissen, dass ihr gutes Benehmen belohnt wird, sind sie eher bereit, sich an die Regeln zu halten.
- Vorbild sein: Kinder lernen durch Nachahmung. Seien Sie ein gutes Vorbild und zeigen Sie Ihren Kindern, wie man sich respektvoll und verantwortungsbewusst verhält.
- Gespräche führen: Sprechen Sie mit Ihren Kindern über ihr Verhalten und erklären Sie ihnen, warum bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptabel sind. Hören Sie Ihren Kindern zu und versuchen Sie, ihre Beweggründe zu verstehen.
- Professionelle Hilfe suchen: Wenn Sie mit dem Verhalten Ihrer Kinder überfordert sind, scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe zu suchen. Es gibt viele Beratungsstellen und Therapeuten, die Ihnen und Ihren Kindern helfen können.
Es ist wichtig, geduldig zu sein und nicht zu erwarten, dass sich das Verhalten der Kinder von heute auf morgen ändert. Erziehung ist ein Prozess, der Zeit und Ausdauer erfordert. Aber mit Liebe, Konsequenz und den richtigen Strategien können Mütter ihren Kindern helfen, sich zu selbstbewussten und verantwortungsbewussten Menschen zu entwickeln.
Loyalitätskonflikte vermeiden
Bei Trennungskindern spielt oft auch ein Loyalitätskonflikt eine Rolle. Die Kinder fühlen sich hin- und hergerissen zwischen ihren Eltern und haben Angst, den einen Elternteil zu verletzen, wenn sie den anderen loben oder unterstützen. Dieser Loyalitätskonflikt kann sich in schlechtem Benehmen äußern.
Um Loyalitätskonflikte zu vermeiden, ist es wichtig, dass die Eltern eine respektvolle und wertschätzende Kommunikation pflegen. Sie sollten nicht schlecht übereinander reden oder die Kinder in ihre Konflikte hineinziehen. Die Kinder müssen das Gefühl haben, dass sie beide Eltern lieben dürfen, ohne den anderen zu enttäuschen.
Auch wenn die Eltern nicht mehr zusammen sind, bleiben sie Eltern ihrer Kinder. Sie sollten sich bemühen, im Interesse ihrer Kinder zusammenzuarbeiten und eine positive Erziehungspartnerschaft zu gestalten. Das ist nicht immer einfach, aber es ist wichtig für das Wohlbefinden der Kinder.
Fazit: Die Stärke der Mutter-Kind-Beziehung
Das Phänomen, dass sich Kinder bei dem einen Elternteil besser benehmen als bei dem anderen, ist komplex und vielschichtig. Es hat oft mit der Sicherheit und Geborgenheit zu tun, die Kinder bei ihren Müttern empfinden, aber auch mit Loyalitätskonflikten und unterschiedlichen Erziehungsstilen. Mütter sollten sich nicht entmutigen lassen, wenn ihre Kinder sich zuhause daneben benehmen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke der Mutter-Kind-Beziehung.
Wichtig ist, dass Mütter auf ihre eigenen Bedürfnisse achten, sich Auszeiten nehmen und sich Unterstützung suchen, wenn sie überfordert sind. Mit klaren Regeln, positiver Verstärkung und einer liebevollen, aber konsequenten Erziehung können sie ihren Kindern helfen, sich zu selbstbewussten und verantwortungsbewussten Menschen zu entwickeln. Und auch wenn es manchmal schwerfällt: Versuchen Sie, eine positive Kommunikation mit dem anderen Elternteil zu pflegen, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden und Ihren Kindern das Gefühl zu geben, dass sie beide Eltern lieben dürfen.
Letztendlich ist die Mutter-Kind-Beziehung eine der wichtigsten Beziehungen im Leben eines Menschen. Sie prägt uns von Kindesbeinen an und begleitet uns ein Leben lang. Und auch wenn es manchmal holprig ist: Mit Liebe, Geduld und den richtigen Strategien können Mütter ihren Kindern eine stabile und liebevolle Basis für ein glückliches Leben geben.
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